Der Mann im Park: Roman (German Edition)
die Pressekonferenz aus dem Polizeihauptgebäude angehört. Hatte zugehört, wie Kommissar Stierna immer die gleichen Worte wiederholte. Er hatte das Aftonbladet gelesen und kannte den Artikel mit der Überschrift »Wer ist der Mann mit den Glanzbildern?« fast auswendig. Die Journalisten behaupteten, Stierna hätte exklusiv mit der Zeitung gesprochen. Hätte gesagt, der Mörder müsse geisteskrank sein.
Sonst hatte der Kommissar nicht viel gesagt. Nur etwas in der Richtung, dass er den Mann sprechen wolle, den Ingrid im Vasapark getroffen hatte, der ihr Geld für Glanzbilder gegeben haben könnte. Waren sie ihm auf der Spur? Daran zweifelte er stark.
Er überlegte: Inzwischen waren bereits zehn Tage vergangen, seit er das Mädchen auf der Djurgårdswerft erschlagen hatte. Zehn Tage. Irgendwo hatte er gehört, dass die ersten Tage, die ersten Wochen einer Mordermittlung meist die entscheidenden waren. Wahrscheinlich hatten sie jetzt ihre Probleme, der Kommissar Stierna und die anderen Ermittler der Abteilung für Gewaltverbrechen. Kriminaldirektor Berner.
Die Frau vor ihm stolperte, suchte Halt an einer Parkbank.
Er war unbewaffnet, heute Nacht hatte er die Pistole nicht bei sich und den Schlagstock auch nicht. Er wollte sie nicht überfallen. Aber es schien, als wäre etwas in ihm gewachsen, nachdem er Ingrid erschlagen hatte, doch er wusste nicht, was das eigentlich war.
Er wusste nicht, ob er wieder jemanden töten würde. Ausgeschlossen war das nicht.
30
Es war lange her, seit Stierna das letzte Mal in einer Kirche gewesen war. Zwei Jahre, seit Karolina und er geheiratet hatten. Das war ein Tag der Freude gewesen. Doch dieses Mal hatte sein Besuch nichts mit Freude zu tun.
Stierna saß in der zweiten Reihe, auf einer einfachen, weiß gestrichenen Holzbank, vor der linken Wand der Skogskapelle. Auf der anderen Seite saß Maria Bengtsson. Schwarz gekleidet, ihre Eltern neben ihr. Da saß auch ihr Bruder Johan. Er verdiente sein Geld im Londoner Hafen. Er hatte Ingrid damals das Buch geschenkt, in dem das Ferkel vorkam: »Pu der Bär«. Der Kettenanhänger war inzwischen fertig, oder besser gesagt, die Kopie. Von Ferkel, Ingrids Lieblingsfigur aus dem Buch. Jonsson hatte sie Stierna am Morgen gegeben, jetzt lag sie in seiner Jackentasche.
Johan trug einen dunklen Anzug, ein weißes Hemd und eine weiße Krawatte. Er hatte braune Haare, genau wie seine Schwester. Er war allein aus England gekommen. Er hatte keine Kinder und keine Frau, die auf ihn warteten.
Stierna schaute sich in der Kapelle um. Freunde der Familie waren gekommen, die Lehrerin des Mädchens. Thomas Franzén war nicht gekommen. Auch dem Begräbnis seiner Tochter war er ferngeblieben. Vielleicht traute er sich nicht, sich zu zeigen. Vielleicht trauerte er auf andere Weise.
Stierna musterte Maria Bengtssons Eltern. Die Frau weinte. Der Mann starrte vor sich hin und gab sich alle Mühe, stark zu wirken. Er hatte einen Schuhmacherladen in Sundbyberg, in dem seine Frau half. Das hatte Stierna schon vorher gewusst.
Ingrid war das einzige Enkelkind gewesen, dachte er und blätterte das Gesangbuch wie ein Daumenkino durch.
Der Pfarrer war ziemlich alt, was sicher kein Zufall war. Es war eine schwierige Beerdigung, wie immer, wenn ein Kind stirbt. Wenn etwas geschieht, was nicht hätte geschehen dürfen. Dann brauchte man jemanden mit Erfahrung.
Rehn und Lundby waren inzwischen so gut wie fertig mit der Liste der Personen, die Ingrid gekannt hatten. Verwandte, Familie, Schulpersonal, Freunde und Freundinnen, Nachbarn. Als sie vor ein paar Tagen darüber gesprochen hatten, hatte Rehn den Kopf geschüttelt. Die Befragungen hatten so gut wie gar nichts ergeben.
Stierna tat das Steißbein von dieser unbequemen Holzbank weh. Viele Trauergäste hatten offen geweint, die Lehrerin fast hysterisch. Maria Bengtsson schien gefasster zu sein, doch er konnte sehen, dass sie lautlos weinte. Vielleicht hatte die Trauerzeit sie gefasster gemacht.
Sie sangen die bei Begräbnissen üblichen Lieder, »Nur ein Tag«, »Du großer Gott«, »Wie die Nacht den Morgen ersehnt«. Stierna sang nur in Gedanken mit und bewegte die Lippen, das Singen fiel ihm schwer. Er hatte Ingrid vor ihrem Tod nicht gekannt.
Der Pfarrer hielt seine Predigt. Darüber, dass es Hoffnung in dem gibt, was bleibt. Darüber, weiterzugehen und darüber, dass die Wege des Herrn unergründlich sind. Für Stierna klang das nicht gerade überzeugend.
Langsam entfaltete er die Todesanzeige. Er
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