Der Mann im Schatten - Thriller
anderes erzählt, erklärt er.
Ich verließ das Cafe, nicht sonderlich zufrieden mit mir. Aber immerhin hatte ich jetzt einen einigermaßen brauchbaren
Zeugen für Sammy. Tommy Butcher hatte keinen Schimmer gehabt, was der flüchtige Schwarze getragen hatte, und ich hatte ihn mit den entsprechenden Informationen versorgt. Aufgrund Butchers rassistischer Tendenzen und seiner Vorliebe für Selbstjustiz war ich mir inzwischen ziemlich sicher, dass er, ohne mit der Wimper zu zucken, aussagen würde, der Verdächtige hätte eine braune Bomberjacke und eine grüne Wollmütze? getragen.
Du schuldest mir was, Koke. Vielleicht war es diesem Umstand zu verdanken, dass ich Butcher so leichtfertig manipuliert hatte. Früher, als Strafverfolger, hatte ich stur auf der Einhaltung ethischer Prinzipien bestanden und war deswegen öfter mit meinem Vorgesetzten aneinandergeraten. Für mich war damals die andere Seite immer darauf aus, die moralischen Standards zu untergraben - wie die meisten Staatsanwälte hielt ich Anwälte für Schlitzohren, Lügner und manchmal sogar kriminelle Betrüger. Ich war geradezu dankbar, als ich später durch meinen Mentor Paul Riley eines Besseren belehrt wurde. Paul erwies sich im Almundo-Fall als unkorrumpierbar, obwohl ihn der Senator auf die Bestechlichkeit gewisser Zeugen hinwies. So läuft das hier nicht, Hector, hatte Paul ihm erklärt. Zumindest nicht mit mir. Und mit mir lief es ebenso wenig.
Vielleicht hatte mich der Tod von Talia und Emily eine etwas großzügigere Perspektive einnehmen lassen. Inzwischen heiligte der Zweck auch diejenigen Mittel, die ich früher nie geduldet hätte. Ich stand in Sammys Schuld und hatte keine große Wahl. Trotzdem würde mir das Gespräch mit Butcher noch eine Weile nachgehen.
Ich kontrollierte mein Handy. Jemand hatte mir eine Nachricht hinterlassen, und ich hörte sie beim Fahren ab.
Hier ist Detective Vic Carruthers. Ich schicke Ihnen Kopien der Akten, die Sie brauchen. Außerdem werden wir graben. Und wenn wir die Knochen der Kleinen unter diesem Hügel finden, zerre ich Perlini persönlich aus seinem Grab und prügle ihm die Scheiß aus dem Leib.
Gut. Endlich ein Fortschritt. Vielleicht konnte ich Perlini den Mord an Audrey doch nachweisen. Dann musste ich nur noch die Richterin davon überzeugen, dass dieser Tatbestand für den Fall relevant war, auch wenn Sammy weiterhin auf seiner Unschuld beharrte.
Ich beschloss, meine Mittagspause am üblichen Ort zu verbringen, bevor ich meiner alten Nachbarin Mrs Thomas einen Besuch abstattete.
Als der Vorhang sich öffnet, liegen einige Kinder zusammengerollt auf der Bühne und stellen sich schlafend. Hinter ihnen bewegt sich eine Reihe weiterer Kinder tapsig über die Bühne. Sie tragen große Pappschilder und stellen Wolken dar. Talia und ich sitzen in der dritten Reihe und recken die Hälse, denn wir wissen, gleich geht die Sonne auf.
Emily richtet sich langsam aus der Hocke auf, um die Brust ein kreisrundes, goldorangefarbenes Pappschild. »Geeeehe auf und scheiiiiine«, kräht sie.
Ich richte die Videokamera auf meine Tochter, während das Publikum Laute des Entzückens ausstößt. Offensichtlich ist allen hier bewusst, dass Emily Kolarich das bezauberndste Kind dieser Aufführung ist.
»Es ist Zeit aufzustehen«, flüstert Talia. Den gesamten vergangenen Abend hat sie mit unserer Tochter an diesem Satz gearbeitet.
»Es ist Zeit aufzustehen!«, ruft Emily.
Talia tastet nach meiner freien Hand und verschränkt ihre Finger mit den meinen.
»Sie ist wunderschön«, sage ich zu ihr. »Mein Gott, Talia, sie ist so wunderschön.«
Nachdem ich den Friedhof verlassen hatte, fuhr ich zu dem Pflegeheim in der South Side, wo Delilah Thomas ihren Lebensabend verbrachte. Es lag nur ein paar Kilometer von unserem alten Viertel entfernt. Die Ziegelfassade entlang der geschäftigen Cardaman Avenue ließ das Gebäude mehr wie ein Apartmenthaus wirken, und der Eindruck war vermutlich gar nicht so falsch. Das Heim nannte sich St. Joseph’s Zentrum für betreutes Wohnen. Mrs Thomas war wie alle in unserem Block eine strenggläubige Katholikin gewesen.
Ich hatte am Tag zuvor telefonisch einen Termin vereinbart, da ich davon ausging, Heime dieser Art seien ziemlich straff durchorganisiert. Man erwartete mich bereits, als ich den großzügigen, helllila gestrichenen Empfangsbereich betrat.
Ein ganz in Weiß gekleideter Schwarzer führte mich zu einem Aufzug und drückte dann auf den Knopf
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