Der Mann im Schatten - Thriller
ganz
prima macht. Dann hebt er sie hoch und setzt sie sich auf die Schultern. Er rennt wild durch den Park, während Audrey schreit, Em-a-son-ems, und vor Vergnügen kreischt.
Den Nachmittag verbrachte ich im Büro und ging die Akten zu Sammys Fall durch. Die Unterlagen enthielten auch das Vorstrafenregister Griffin Perlinis sowie eine Liste der Familien, deren Töchter auf irgendeine Weise Opfer von Perlini geworden waren. Ich muss sagen, ich hatte kein allzu gutes Gefühl dabei, als ich sie für meine Zwecke kurzerhand in eine Liste potenzieller Tatverdächtiger verwandelte.
Sie war nicht sehr umfangreich. Von Perlinis ersten Straftaten waren zwei Mädchen betroffen gewesen, wobei vermutlich kein sexueller Kontakt mit den Kindern stattgefunden hatte. Perlini war lediglich für unsittliche Entblößung verurteilt worden.
Die beiden anderen Mädchen waren Teil eines Falls, der Perlini eine Gefängnisstrafe bis 2005 eingetragen hatte. Perlini hatte die beiden Mädchen missbraucht, während sie ein Sommercamp für Kinder besuchten, in der Nähe eines Parks, in dem er als Angestellter gearbeitet hatte. Da es zum Prozess gekommen war, hatten die beiden Kinder vermutlich vor Gericht aussagen müssen. Die Gespräche mit ihren Eltern würden sicher alles andere als erfreulich, zum einen wegen des schmerzlichen Themas, und zum anderen weil ich während des Prozesses womöglich nicht umhinkäme, eines der Elternpaare als potenzielle Mörder Perlinis vorzuführen. Ich hatte ein mehr als nur mulmiges Gefühl dabei, in alten Wunden zu stochern, aber es wäre unverantwortlich gewesen, diese Möglichkeit nicht auszuschöpfen.
Manöver wie dieses tragen uns Anwälten und insbesondere
Strafverteidigern einen schlechten Ruf ein. In den Augen von Laien widerspricht vieles an unserer Tätigkeit dem gesunden Menschenverstand. So wird jemand mit einem Kilo Kokain in seiner Wohnung erwischt, und wir führen sofort ins Feld, das Beweismittel sei nicht zulässig, weil gegen den vierten Verfassungszusatz verstoßen wurde, der jeden Bürger vor willkürlichen Durchsuchungen schützt. Oder jemand hat ein Verbrechen gestanden, wir aber argumentieren, die Jury dürfe nichts davon erfahren, weil laut viertem Verfassungszusatz niemand verpflichtet ist, gegen sich selbst auszusagen. Wir stellen dubiose Verteidigungsstrategien auf die Beine, in denen wir auf vorübergehende Schuldunfähigkeit plädieren oder das Argument rassischer Diskriminierung ins Feld führen. Nichts erscheint uns zu abwegig, wenn wir damit nur unseren Klienten herauspauken. Die meisten Menschen haben nichts als Schlechtes über die Anwälte dieser Welt zu berichten - abgesehen von einer Ausnahme: ihrem eigenen Anwalt, wenn sie in der Klemme stecken. Und dann fällt in der Regel auch ihr Urteil über die verfassungsmäßig verbrieften Rechte wesentlich positiver aus.
Ich war müde und erwog gerade, mir unten im Laden eine Tasse Kaffee zu holen, als die Gegensprechanlage summte. Marie verkündete durch den Lautsprecher: »Mr Smith ist hier.«
Smith. Der Letzte, den ich jetzt sehen wollte. Aber eine innere Stimme sagte mir, dass ich die Möglichkeit zu einer Unterredung besser nutzte.
Meine Tür, die entgegen meinen sonstigen Gewohnheiten geschlossen war, öffnete sich, und Smith trat ein. »Tag, Jason.« Er wirkte ebenso gelackt wie bei unserer ersten Begegnung. Er trug einen grauen Zweireiher mit anthrazitfarbener Krawatte
und das Haar streng gescheitelt. Allerdings wirkte er diesmal weniger verhalten und deutlich selbstbewusster, als er mein kleines Büro durchquerte.
»Verraten Sie mir Ihren Namen«, begann ich. »Ihren wahren Namen.«
»Ich hatte eigentlich gehofft, Sie würden mich über den aktuellen Stand des Falls in Kenntnis setzen«, erwiderte er, meine Aufforderung ignorierend.
»Hoffnung ist eine gefährliche Sache.«
Er rang sich ein Lächeln ab. »Sie werden gut bezahlt. Sehr gut.«
»Ebenso wie Sie. Wer steht hinter Ihnen? Vielleicht können wir beide ein paar Informationen austauschen?«
Inzwischen war ich mir ziemlich sicher, dass Smith eine Familie vertrat, die in irgendeiner Weise unter Griffin Perlinis sexuellen Übergriffen zu leiden gehabt hatte. Ich konnte ihr Bedürfnis nach Diskretion verstehen, und ehrlich gesagt, war Smith auch gar nicht mein Problem. Letztlich war es mir egal, wer mich bezahlte. Meine Loyalität galt allein Sammy, und wenn jemand unbedingt seine Verteidigung finanzieren und dabei anonym bleiben wollte, sollte es mir
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