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Der Mann im Schatten - Thriller

Der Mann im Schatten - Thriller

Titel: Der Mann im Schatten - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Zeitungen, und jemand musste ihm den betreffenden Artikel zugespielt haben. Ich bereute es, ihn nicht gleich gestern aufgesucht zu haben, nach der Bekanntgabe der Funde, aber wegen all dem, was mit Pete passiert war, hatte ich es einfach nicht geschafft.
    »Sam, sie haben hinter dieser Schule ein paar Leichen entdeckt, die dort vergraben waren. Kinderleichen. Sie gehen davon aus, dass Griffin Perlini sie ermordet hat. Aber die Opfer konnten bisher noch nicht identifiziert werden.«
    Sammy zeigte keinerlei Reaktion, nur seine Lippen öffneten sich leicht. Er rang nach Worten. Alles Blut war aus seinem Gesicht gewichen.
    Wir beide schwiegen volle zwanzig Minuten. Sammy ist ein großer, kräftiger Kerl, und solche Männer wirken besonders hilflos, wenn sie die Fassung verlieren. Sammy stand kurz davor. Es war Jahrzehnte her, dass seine Schwester verschwunden war. Er hatte sie kaum gekannt. Vermutlich musste er sich sehr anstrengen, um noch ein Bild von ihr heraufzubeschwören. Und er wusste natürlich, dass sie tot war. Trotzdem war sie nie gefunden worden, und diese Neuigkeit löste Gefühle in ihm aus, die er lange unterdrückt hatte.
    Ich beschäftigte mich mit meinem Notizblock, ging im Raum auf und ab, tat alles, um diesem Mann ein Minimum an Privatsphäre zu ermöglichen.
    »Warum... warum jetzt?«, murmelte Sammy.
    Ich erzählte ihm von meinem Besuch in unserem alten Viertel. Wie ich aufs Geratewohl an Griffin Perlinis Haus vorbeigefahren
war, Mrs Perlini begegnet war und den Hinweis auf den Hügel hinter der Grundschule erhalten hatte.
    »Wir müssen erst DNA-Tests machen lassen, bevor wir definitiv wissen, ob es sich um Audrey handelt«, erklärte ich. »Dafür müssen wir selbst jemanden anheuern und uns einen Gerichtsbeschluss besorgen. Die Jury soll erfahren, was er deiner Schwester angetan hat.«
    Zum ersten Mal, seit ich ihm die Nachricht überbracht hatte, blickte ich Sammy an. Seine Augen waren immer noch feucht, aber sein Gesicht wirkte hart. Er war seit langem darin geübt, schlechte Nachrichten mit versteinerter Fassade zu verdauen. Sammys Zuhause waren fast sein gesamtes Erwachsenenleben über Gefängnisse gewesen, keine Orte für Gruppenumarmungen und Händchenhalten. Schon vor langer Zeit hatte Sammy gelernt, seinen Schmerz in Wut umzumünzen.
    »Sollte es tatsächlich Audrey sein«, versicherte ich ihm, »kümmern wir uns darum, dass sie ein würdiges Begräbnis erhält, Sam. Wir bestatten sie gleich neben deiner Mutter.«
    Sammy bedeckte das Gesicht mit den Händen und nickte. Eine plötzliche Gefühlsaufwallung schnürte mir die Kehle zu. Es kam mir vor, als wären wir wieder kleine Jungen, die entschlossen füreinander eintraten. Und dieser Eindruck veranlasste mich, zurückzuhalten, was ich Sammy eigentlich hatte sagen wollen - dass ich meinen Job als sein Anwalt niederlegen würde, weil ich mich all dem nicht gewachsen fühlte. Auf vielen Ebenen wäre es sicher die richtige Entscheidung gewesen, aber tief in meinem Inneren sagte mir etwas, dass ich wohl als Einziger wirklich bereit war, alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um meinem Freund zu helfen, und dass es geradezu pervers von mir wäre, mich jetzt von ihm abzuwenden, egal, wie unzulänglich meine Möglichkeiten waren.
Du kommst in Trainingsklamotten die Rampe hoch, das Haar noch nass vom Duschen, in der Sporttasche über deiner Schulter dein verdrecktes Football-Trikot. Du entdeckst Pete. Er strahlt, nickt dir begeistert zu, und du genießt, wie er zu dir aufschaut. Heute war ein besonderer Tag - du hast das bisher beste Spiel in deiner Highschool-Laufbahn absolviert. Die offizielle Statistik ist noch nicht raus, aber der Coach meint, du hättest während des Spiels insgesamt hundertfünfzig Yards für deine Mannschaft gutgemacht, zusätzlich zu den zwei Touchdowns.
    Wo ist Ma?, fragst du Pete.
    Petes Lächeln verschwindet. Sie ist bei Mary, erklärt er. Ihr geht’s nicht gut.
    Du bringst Pete zu dem Krankenhaus, in dem Mary Cutler liegt. Für sie heißt es seit einem Jahr immer wieder rein und raus aus dem Krankenhaus, seit man bei ihr einen genetischen Nierendefekt diagnostiziert hat. Sie liegt jetzt schon zwei Wochen dort, offensichtlich hat sich die Krankheit zum Schlechteren gewendet.
    Es sieht nicht gut aus, flüstert deine Mutter und umarmt dich fest, während ihr draußen im Flur steht, direkt vor Marys Zimmer. Es sieht nicht gut aus.
    Sammy tritt aus Marys Zimmer, leichenblass, die Augen leblos und zu Boden gerichtet.

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