Der Mann im Schatten - Thriller
Alarmanlage ein und ließ auf beiden Stockwerken das Licht an. Pete nahm noch einen Drink, um seine Nerven zu beruhigen. Der Schrecken über den Zwischenfall in der Gasse ließ langsam nach, und an seine Stelle trat die wachsende Furcht vor dem, was ihm in den kommenden Wochen und Monaten bevorstand. Gegen drei Uhr morgens
waren seine Augen von tiefen, dunklen Schatten umgeben. Ich überredete ihn, ins Bett zu gehen. Ich wusste nicht, ob er Schlaf finden würde. Ich selber nickte nur gelegentlich ein, für zwanzigminütige Dämmerschlafphasen, jäh unterbrochen von unidentifizierbaren Schreien in meinem Kopf.
Es war nicht die Panik. Im Gegenteil, es war wie damals vor einem Spiel, ich fühlte mich ruhig, konzentriert und hochmotiviert. Spätestens jetzt wusste ich mit Bestimmtheit, dass Smith und seine Hintermänner keineswegs die Absicht hatten, ihren Teil der Vereinbarung zu erfüllen - ihre Zusicherung, Pete zu retten, falls ich Sammy rettete. Ihre subtilen Zwangsmethoden waren in brutale Gesten umgeschlagen: die offene Drohung eines inhaftierten Gangsters, ein tätlicher Angriff in einer dunklen Gasse. Diese Leute waren es gewohnt, ihre Probleme mit Gewalt zu lösen. Selbst wenn ich Sammys Fall gewann, würden Smith und seine Freunde früher oder später zu einer nüchternen Einschätzung der Situation gelangen, Pete und mich als gefährliche Mitwisser einstufen und uns voraussichtlich beseitigen.
In einigen wenigen Punkten hatte ich die Nase vorn. Zunächst war ich Sammys Anwalt. Daher brauchte mich Smith, zumindest im Moment noch. Zum Zweiten war aus irgendeinem, mir nicht näher bekannten Grund die Zeit auf meiner Seite. Smith bestand darauf, dass der Prozess ohne jede Verzögerung begann, also war das offensichtlich ein Punkt, über den ich Druck ausüben konnte.
Drittens brauchten sie Pete, um ihn als Druckmittel gegen mich einzusetzen. Zwar konnten sie ihn schikanieren, um mich dadurch gefügiger zu machen, aber sie konnten ihn nicht töten, noch nicht. Trotzdem, auch wenn ihm aktuell kein gewaltsamer Tod drohte, Pete war den Übergriffen von
Smiths Schlägern jederzeit hilflos ausgeliefert. Ich musste ihn aus der Stadt schaffen. Ich musste ihn irgendwo verstecken.
Es war ohnehin die beste Lösung, wenn Pete für eine Weile abtauchte. Ich wollte ihn nicht um mich haben, bei allem, was jetzt möglicherweise auf mich zukam. Ich hockte auf meinem Bett, wartete auf den Sonnenaufgang, während die Müdigkeit mich umhüllte wie ein schwerer Wintermantel. Und ich fragte mich, während mir immer wieder die Augen zufielen und das Rumoren in meinem Bauch mich nicht an Schlaf denken ließ: Zu was war ich in der Lage?
Sammy wirkte müde, noch müder als sonst, als ich ihn am nächsten Morgen besuchte. Inhaftierte sehen nur selten erholt aus, aber ich vermutete, dass Sammy viel über seine Schwester nachdachte, seit sie die Leichen hinter der Hardigan entdeckt hatten. Und vermutlich trug es nicht gerade zur Stimmungsaufhellung bei, dass in knapp drei Wochen sein Mordprozess begann, an dessen Ende er womöglich lebenslang ins Gefängnis wanderte.
Trotz des offensichtlichen Schlafentzugs hörte Sammy mir aufmerksam zu, als ich ihm die ganze Geschichte mit Smith auftischte und berichtete, welche Folgen das für Pete gehabt hatte. Er wirkte abwechselnd besorgt und verblüfft, zwei Gefühlszustände, die ich selbst in diesen Tagen zur Genüge durchlebt hatte. »Pete«, murmelte er. »Pete.«
Meine Zeit war knapp, und ich hoffte, Sammy wüsste mehr über Smith, als er bisher offenbart hatte. Doch ich wurde enttäuscht.
»Mann, ich kenn diesen Smith nicht näher«, erklärte er, als ich geendet hatte. »Er taucht einfach irgendwann auf und bietet mir >den besten Anwalt, der für Geld zu haben ist<. Daraufhin
reim ich mir in etwa dasselbe zusammen wie du, Koke. Dass er für jemanden arbeitet, dem dieses Arschloch was angetan hat. Irgendein Opfer. Jemand, dem es nahegeht, was ich hier durchmache. Der Hilfe anbieten will. Klar, schon merkwürdig, dass er mir den Namen nicht verraten will, aber andererseits, unter den Umständen... Ich meine, eine Menge Leute bleiben lieber anonym, wenn es um... du weißt schon was geht.«
Er hatte Recht. Missbrauchsopfer präsentieren sich nicht gern der Öffentlichkeit. Vielleicht war das Smiths ganzes Geheimnis. Aber ich hatte den Eindruck, dass mehr dahintersteckte. »Diese Typen versuchen, irgendwas zu vertuschen«, erwiderte ich. »Sie haben Angst, dass man ihnen auf die
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