Der Mann im Schatten - Thriller
dass Archie es getan hat.«
Ich konnte nicht entscheiden, ob hier ein Unschuldiger sprach oder ein Mann, der die Angelegenheit aus der Perspektive der Jury zu betrachten versuchte. Überhaupt begann ich langsam an meiner Urteilsfähigkeit zu zweifeln. Ich war todmüde. Letzte Nacht hatte ich immerhin vier Stunden geschlafen, aber die achtundvierzig Stunden Schlafentzug der vorangegangenen Tage forderten ihren Preis. Manchmal sind ein paar Stunden Schlaf schlimmer als gar keiner.
»Novotny passt auf die Täterbeschreibung«, sagte ich. »Setz ihm noch eine grüne Wollmütze auf, dann fällt die Haarfarbe auch nicht mehr ins Gewicht. Es könnte funktionieren mit ihm. Ich denke, ich kann ihn der Jury als Verdächtigen verkaufen. Aber das ist nicht das Problem, Sam. Weißt du, was das eigentliche Problem ist?«
Er nickte. »Mein Wagen.«
Genau. Bevor ich einem Mandanten die entscheidenden Fragen stelle, vermittle ich ihm gerne einen allgemeinen Überblick
über die Lage, damit ihm bewusst ist, was der Ankläger weiß und was nicht. Es ist immer gut, den möglichen Spielraum anzudeuten, bevor ein Mandant loslegt und auspackt.
Ich begann mit den Fakten. »Der Supermarkt in der Nähe von Perlinis Apartment. Die Überwachungskamera hängt in der hinteren Ecke des Ladens und zeigt Richtung Kasse. Außerdem ist ein Stück Straße vor dem Laden zu sehen. Dein Wagen parkt direkt vor dem Schaufenster, so dass die Kamera das Heck im Visier hat - und das Nummernschild. Auf dem Video ist eindeutig dein Kennzeichen zu erkennen, also haben wir ein Problem, okay?«
Er nickte.
»Wer allerdings nicht zu sehen ist, ist der Fahrer, denn dieser Teil des Wagens liegt außerhalb des Kamerawinkels. Es ist also eindeutig dein Wagen, Sammy, aber sie können nicht sagen, wer ihn dort abgestellt hat und wer damit weggefahren ist.«
»Ja, schon klar, aber...«
Ich eröffnete ihm hier einen gewissen Spielraum, aber er schien ihn nicht nutzen zu wollen.
»Das war ich«, erklärte Sammy.
Ich atmete tief aus. »Dann müssen wir uns eine gute Erklärung dafür ausdenken. Das ist schon ein ziemlicher Zufall.«
»Nicht wirklich.«
»Warum das?«
»Sie haben das eine Überwachungsvideo? Aus dieser Nacht? Mehr nicht?«
»Richtig.« Ich hatte keine Ahnung, worauf er hinauswollte. »Nur dieses eine.«
Sammy drückte seine Zigarette aus und ließ einen Rest Rauch durch die Nase entweichen. Er sah nicht gut aus. Mangelnder Schlaf spielte eine Rolle, aber es war mehr als das. Er
hatte die rötliche Haut eines Trinkers, die Runzeln eines Kettenrauchers, und sein Gesicht war von tiefen Falten zerfurcht. Er hatte kein gesundes Leben geführt.
»Es war etwa eine Woche vor seinem Tod«, erklärte Sammy. »Ich hab ihn gesehen. Ich hab diesen Scheißkerl gesehen.«
»Du hast Perlini gesehen...«
»Ich war zufällig in diesem Supermarkt einkaufen, in dem er gearbeitet hat. Als Kassierer. Und der Filialleiter oder so fängt plötzlich an, nach einem >Grifhn< zu brüllen. Ich schwör dir, Koke, als ich den Namen gehört hab, ist es mir kalt den Rücken runtergelaufen. Wir waren damals noch kleine Jungs, trotzdem, sobald ich den Kerl vor Augen hatte, war mir klar, das ist er. Ein einziger Blick hat genügt.« Er zündete sich eine neue Zigarette an, bevor er fortfuhr. »Also hab ich das Ende seiner Schicht abgewartet, und dann bin ich dem Kerl gefolgt. Bis zu diesem Apartmenthaus. Jetzt wusste ich, wo er wohnt. Und ich schwör dir, ich hab jede Nacht mit dem Gedanken gespielt. Eine Woche lang bin ich jede Nacht zu seiner Wohnung gefahren und hab dabei an Audrey gedacht und was er ihr angetan hat. Und ich hab mich gefragt, ob ich den Mumm hätte, es zu tun - diesen Dreckskerl umzulegen.«
Sammys Geschichte würde sicher nicht ins Guinness Buch der Rekorde als »bestes Alibi aller Zeiten« eingehen. Ich war am Tatort und dachte gerade darüber nach, Perlini zu töten, als jemand anderer es tat . Das war schon ein verdammter Zufall. Ausgerechnet in der gleichen Woche, in der Sammy in einem Supermarkt Griffin Perlini entdeckte und begann ihm zu folgen, kassierte der Typ eine Kugel zwischen die Augen?
»Du bist also in dieser Nacht zu seiner Wohnung gefahren und hast mit dem Gedanken gespielt, ihn zu erschießen?«
»Genau.«
»Hast du deinen Wagen verlassen?«
Er schüttelte den Kopf.
»Aber wenn du es getan hättest, Sammy, wenn du beim Nachdenken vielleicht gern ein bisschen spazieren gehst, anstatt im Wagen zu sitzen, dann könnte das erklären,
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