Der Mann im Schatten - Thriller
mein Liebling«, sage ich. Ich gehe in die Knie und hebe meine Tochter hoch. »Wie würde es dir gefallen, einen kleinen Bruder oder ein Schwesterchen zu bekommen, Em?«
Ich verließ den Friedhof um kurz nach eins. Eine plötzliche Bitterkeit hatte mich überfallen, eine Mischung aus Wut und der allgegenwärtigen Angst. Ich ärgerte mich über Talia. Ich wollte endlich mit dem abschließen, was geschehen war. Am liebsten hätte ich so getan, als wären wir uns nie begegnet, als hätte es Emily nie gegeben. Aber dieses Buch, das wusste ich, würde niemals geschlossen. Immer wieder würde ich zum Anfang oder zur Mitte zurückblättern, sobald ich das Ende erreicht hatte.
Ich wollte es begreifen. Wirklich verstehen. Ich wollte an einen Gott glauben, daran, dass Er einen Plan hatte, dass alles für etwas gut war; aber ich begriff einfach nicht, wie der gewaltsame Tod einer wunderschönen jungen Frau und unseres kostbaren unschuldigen Kindes für irgendetwas gut sein sollte.
Der Himmel drohte mit einem weiteren Regenschauer, und die Temperatur war noch weiter gesunken. Typisch für den Oktober im Mittleren Westen. Er schwankt zwischen Sommer und frühem Winter, und schenkt einem nur selten diese wunderbaren, goldenen Oktobertage.
»Wenn du mich hasst«, sagte ich mit einem Blick nach oben, »dann hasse ich dich zurück.«
Ich fuhr los, ein halbes Auge auf den schwarzen Geländewagen ein paar Autos hinter mir gerichtet. Diese Jungs hätten eigentlich nicht jeden Tag den Wagen wechseln müssen. Die Tatsache, dass sie es trotzdem taten, verriet mir, dass sie weiter unentdeckt bleiben wollten. Sie dachten immer noch, ich wüsste nichts von ihrer Existenz. Und auch das lieferte mir einen Hinweis. Diese Burschen waren ernst zu nehmen, aber es waren keine Profis, zumindest nicht im Observieren.
Da ich nicht meine übliche Strecke fuhr, musste ich kurz überlegen, welches der richtige Weg nach St. John war. Es war die Gemeinde, die Talia und ich uns ausgesucht hatten, unter vielen anderen in der North Side. Man konnte keinen Schritt tun in dieser Stadt, ohne auf eine katholische Kirche zu stoßen, aber wir hatten uns ziemlich schnell für St. J’s entschieden - wie es die meisten Leute nannten. Talia mochte sie wegen des Chors. Und ich schätzte Pater Ben, einen jüngeren Mann mit Sinn für Humor und Selbstironie. Katholizismus, im 21. Jahrhundert angekommen.
Keine dieser modernen Gemeinden war vergleichbar mit St. Peter in Leland Park, wo ich aufgewachsen war. St. Pete wirkte, als hätte die Kirche nur knapp ein Flächenbombardement im 2. Weltkrieg überstanden und als hätte niemand es seither für notwendig gehalten, dem Haus eine gründliche Renovierung angedeihen zu lassen. Der Priester in St. Peter hatte seine Schäfchen mit donnernden Predigten bedacht - wie Moses höchstpersönlich, der soeben nach seiner Begegnung mit dem brennenden Busch vom Berg herabgestiegen war.
Aber Pfarrer Ben war in Ordnung. So in Ordnung, wie ein Mann Gottes heutzutage sein konnte. Als ich die Räumlichkeiten von St. J. betrat, kam er gerade die Treppe von einem Treffen im Untergeschoss hoch. Ich vermied einen Blick nach rechts zum Altar, vor dem Emily mit drei Monaten getauft worden war.
»Jason, schön, Sie zu sehen.« Pater Ben trug ein weißes Hemd und dunkle Hosen. Sein widerspenstiges Haar war ungekämmt. Es ist immer etwas merkwürdig, einem Priester ohne seine übliche Tracht zu begegnen. Ich widmete ihm eine Minute, gefasst auf eine sanfte Schelte, weil ich mich seit der Beerdigung nicht mehr hatte blicken lassen, aber sie blieb aus.
Nachdem wir kurz gestreift hatten, wie es mir ging, plauderten wir über Football.
Als uns der Stoff für Smalltalk schließlich ausging, schien er unsicher, wie er fortfahren sollte. Ich kam ihm zuvor. »Danke, dass Sie mir heute helfen, Pater.« Und dafür, dass Sie mich nicht nach den Hintergründen fragen, was ich jedoch nicht laut aussprach.
Er seufzte und überraschte mich dann, indem er mir die Hand auf die Schulter legte. Ich machte eine abwehrende Geste, weil ich nicht hören wollte, was immer er zu sagen hatte. »Bitte nicht«, sagte ich und wich zurück.
»Okay, okay. Keine Predigt heute. Aber darf ich Ihnen eine Sache mit auf den Weg geben?«
Ich konnte es ihm schwer verbieten.
»Er hat Sie nicht verlassen, Jason. Verlassen Sie Ihn auch nicht.«
Ich nickte und lächelte bitter. »Ansonsten?«
wie meinen Sie?«
»Was wäre sonst, Pater? Was kann Er mir noch nehmen, das Er mir
Weitere Kostenlose Bücher