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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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lauern. Wie in einem kleinen Krieg, denke ich. Krieg, weil jeder aus dem Weg geschaffte Konkurrent die eigenen Chancen zu erhöhen scheint. Unbegreiflich für mich.
    »Na, so schlimm ist es auch wieder nicht«, versucht Junius mich lächelnd zu beruhigen. »Wir führen keinen Krieg, wir sind nur vorsichtig. Du weißt nie, ob ein anderer deine Schuhe will oder dein Geld oder deinen Alkohol oder deine Freundin oder nur den Hotdog, den er sich nicht leisten kann. Es ist hart, aber wenn man ein paar Regeln beachtet, kann man sehr gut hier leben. Und wo sonst in New York siehst du so viele lachende Gesichter wie hier in Harlem?«
    Ein Schwarzer mit Schnauzbart, etwas älter als wir, in einem Smoking ohne Hemd und barfuß spielt auf einem Saxophon. Jazz-Klänge von großem Unterhaltungswert. Mehr Entertainment als musikalische Kunst, aber allemal sehens- und hörenswert. Menschen haben ihn umringt, manche werfen etwas in seinen Hut.
    »Yeah, he’s positive, that’s what you have to be in a town like that«, erklärt der etwas rundliche und immer strahlende Jeremy, einer von Junius’ Freunden. Wilde Lockenmähne, rote Brille, lachende Augen. »If you feel like a loser, you become a loser. If you feel positive, life smiles at you, right, man?«
    »By the way, how should we spend this evening?« Papa Dandy wartet unsere Antwort gar nicht erst ab, sondern fährt gleich fort: »Maybe you wanna go to the concert with Count Basie and his Orchestra? They play tonight at the Apollo.« Und nach einer kurzen Pause: »He’s simply the greatest! He gives you the swing and the blues …«
    Und bevor wir diesen doch sehr überraschenden und vermutlich zu hochgegriffenen Vorschlag kommentieren können, erklärt Papa
Dandy uns seinen Plan: Als Platzanweiser im »Apollo-Theater«, einer der traditionsreichsten Jazz-Bühnen der Stadt, will er uns alle ein paar Minuten nach Beginn der Show unauffällig auf die Stehplätze im oberen Rang schummeln. Gratis!
    Was für eine atemberaubende Chance! Count Basie live! Und das heute abend! An meinem 23. Geburtstag. Bevor ich den Gedanken zu Ende gedacht habe, sprudelt es aus mir heraus: »This would be absolutely the greatest birthday-event for me!«
    Eigentlich wollte ich kein großes Aufhebens von diesem Tag machen, hätte ihn sogar beinahe vergessen. All die anderen Eindrücke und Erfahrungen erscheinen mir hier um ein Vielfaches wichtiger als dieser Geburtstag. Doch in diesem Moment fällt es mir wieder ein.
    »Your birthday? Why didn’t we know that. Fuck, shit, man, that’s wonderful!« Papa Dandy ist kaum noch zu halten.
    Junius umarmt mich. »Great! Your birthday! But why didn’t you say anything before?« Und bevor ich antworten kann, erklärt er entschieden: »We celebrate it with Count Basie!«
    Fühle den Hauch eines Zweifels: Frage, ob meine Hautfarbe ein Problem sei. Allgemeines Kopfschütteln. »Relax, man! No problem.«
    Muß an meinen Vater als Kind in Moskau denken, seine kindliche Hoffnung: »Apollo wird mich beschützen, was auch immer geschieht.« Ein Gedanke, der plötzlich auch für mich eine ganz neue Bedeutung bekommt. Der Hüter der Kunst, der Weisheit und des Lichtes. Auch hier in Harlem. Man hat ihn hier sicher nötig. Und er wird mir heute abend eine Begegnung mit Count Basie verschaffen!
    Die anderen wollen meinen Geburtstag schon jetzt vorfeiern. Ein Drink in »Truth’s Coffee House« irgendwo an der 7 th Avenue und 135 th Straße erscheint ihnen angemessen. Noch weit zu laufen, aber dort soll es eine erschwingliche Bloody Mary und die schönsten Harlemer Girls geben.
    Kreuzen die Park Avenue, weit, weit im Norden. Immer noch eine breite Hauptstraße, aber fern von jeder Pracht. Halb abgerissene Plakate an den Wänden, nicht mehr zu entziffernde Werbebotschaften. Ein Mann verkauft seine Möbel: einen Tisch, zwei Stühle. Kinder spielen Himmel und Hölle, hier »hopscotch« genannt.
Dunkle Augen, die mich neugierig anstarren. Kinderlachen. Tuscheln. Unterhaltungen, die verstummen, wenn ich Weißer mich inmitten meiner schwarzen Freunde nähere. Blicke zwischen Freundlichkeit bei den Kindern, Hochmut bei den Jugendlichen und Argwohn bei den Älteren. Manchmal auch Feindseligkeit. Beschließen spontan einen kleinen Umweg, als uns in größerer Entfernung eine Gruppe von anderen Jugendlichen entgegenkommt.
    »Better we don’t come too close to those Puerto Rican streetgang. These Latinos are always looking for trouble. They’re all on drugs«, zischt der

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