Der Mann mit dem roten Zylinder
Rollschrank, der so gar nicht in die supermoderne Büroeinrichtung paßt, zeigt bereits 11 Uhr 50 an, als Sven Trellen auf sein Angebot zurückkommt:
„Also, mein lieber Patò, womit kann ich Ihnen helfen?“
„Zunächst nur eine Frage. Ist Ihnen der Name Samor bekannt?“ Patò blickt gespannt auf seinen schwergewichtigen Kollegen.
Es währt einige Zeit, bis Trellen antwortet.
„Samor? Nein, ich weiß jetzt genau, daß ich diesen Namen noch nie gehört habe.“ Behend erhebt er sich. „Aber ich werde mal im...“
Patò unterbricht ihn: „Sie brauchen weder im Telefonbuch noch im Adreßbuch nachzuschauen. Das habe ich heute nacht schon getan. Der Name steht weder in dem einen noch in dem anderen.“
„Es gibt noch eine andere Möglichkeit“, gibt Trellen zurück und geht zur Tür.
„Birgit, sehen Sie mal in unserer Sünderkartei nach dem Namen Samor. Samor, wie man es spricht...“ Trellen wendet sich wieder seinem Gast zu:
„Was ist denn mit diesem Samor los?“
Henry Patò markiert den Gequälten, indem er eine bedauernswerte Miene auf setzt:
„Das, mein lieber Trellen, weiß ich selbst nicht. Aber hören Sie zu, die Geschichte ist schnell erzählt... Ich kam gestern abend in Kopenhagen an. Mein Auftrag lautet: Nachforschung in einer Erbschaftssache. Genauer gesagt: ich soll das Erbe meines Klienten auftreiben... Ich fahre also zum Hotel, betrete mein Zimmer, setze mich in einen Sessel... tja, und dann erhielt ich Besuch. Sozusagen aus nächster Nähe. Mein Besucher kletterte nämlich aus meinem Kleiderschrank...“
„Was?“ entfährt es Trellen, „aus dem Kleiderschrank?“
Patò nickt. „Ein äußerst kindischer Einfall... sollte wahrscheinlich besonders wirkungsvoll sein.“
Patò macht eine Atempause.
„Und was wollte er? Stehlen vielleicht?“ will Trellen wissen.
„Eigentlich nichts weiter als Grüße bestellen.“
„Donnerwetter, wie amüsant...“
„Grüße von einem gewissen Samor.“
„Deshalb der Name Samor... ein starkes Stück, weiß Gott!“ Trellen ballt die Rechte zur Faust und schlägt sie in die geöffnete andere Hand. Es sieht aus, als wolle er dem Kleiderschrankbesucher noch nachträglich einen Kinnhaken versetzen.
„Ich habe mich nicht weiter aufgeregt“, wirft Patò besänftigend ein. „Allerdings habe ich nicht besonders gut ausgesehen. Er ist mir nämlich durch die Lappen gegangen. Dabei hatte er noch den guten Einfall, mich in meinem eigenen Zimmer einzuschließen. Tja, Henry Patò wird langsam alt...“
Sven Trellen macht eine rasche Handbewegung. „Das kann jedem von uns passieren...“ tröstet er und fragt noch: „Und er hat nicht gesagt, wer oder was dieser Samor ist oder darstellt?“
„Nein.“
Birgit tritt ein. Patò sieht es ihr schon von weitem an, daß ihre Nachforschungen vergeblich waren.
„Es tut mir leid, Herr Trellen. Wir führen keinen Samor in unserer Kartei. Ich habe auch Inspektor Kamlongen vom Erkennungsdienst angerufen. Dort ist der Name ebenfalls unbekannt.“
„Vielen Dank, Birgit!“ Trellen nickt, und auch Patò wirft dem Mädchen einen dankbaren Blick zu.
Leise verläßt sie das Zimmer.
„Glauben Sie, Patò, daß diese zwielichtige Geschichte etwas mit Ihrem Auftrag zu tun hat?“
Patò zuckt mit den Schultern. „Ich wüßte keinen anderen Grund... Lieber Trellen, ich habe eine Bitte!“
„Schon erfüllt“, antwortet Sven Trellen.
„Für die Dauer meines Aufenthaltes brauche ich jemanden, der sich gut in der Stadt auskennt.“
„Einen Detektiv?“
Patò schüttelt den Kopf: „Muß nicht sein...“
Trellen runzelt nachdenklich die Stirn. Dann kommt es wie eine Erleuchtung über ihn.
„Ja, ich hätte da jemanden. Einen jungen Burschen. Muß so an die dreizehn Jahre alt sein. Sehr pfiffig und aufgeweckt. Er macht gelegentlich Botengänge für mich. Ich hatte eigentlich noch nie Grund zu Klagen. Außerdem kennt er Kopenhagen wie seine Tasche.“ Patò nickt zufrieden und erhebt sich. „Das ist genau der Richtige für mich. Schicken Sie ihn bitte zu mir ins Hotel ,Astoria‘!“
„Wird gemacht!“ Sven Trellen strahlt. Er ist froh, daß er seinem Kollegen aus Köln behilflich sein kann. Und plötzlich ernst werdend, fügt er hinzu: „Vergessen Sie nicht: Ich stehe Ihnen jederzeit zur Verfügung!“ Henry Patò hält Trellen dankbar die Hand hin: „Ich werde auf Ihr Angebot zurückkommen — wenn es nötig werden sollte. Bis dahin herzlichen Dank...“
Das Haus in der Boggestraße
Vier Uhr
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