Der Mann mit den zwei Gesichtern
Und ich weiß, dass auch du einen hast. Du wirst Gerds Anruf also nicht verpassen, wenn du arbeiten gehst.“
Andrea hatte ja so recht. „Aber ich werde ihn verpassen, wenn ihr mir hier ständig die Leitung verstopft.“
„Gut, dann machen wir einen Deal“, sagte Andrea. „Du sagst die Stelle zu – und ich hüpfe fröhlich aus der Leitung.“
„Und wenn ich es nicht mache?“
„Dann rufe ich im Fünf-Minuten-Takt an und verursache dir einen Herzkollaps nach dem nächsten.“
„Okay“, nickte Franziska. „Dann verschwinde jetzt aus der Leitung.“
„Sagst du zu?“
Immer diese Drängelei! „JA.“
„Gut“, lachte Andrea. „Dann will ich dich mal nicht länger beim Warten stören. Ciao.“
Der Blick auf die Uhr nervte Franziska bereits. War sie hier die Sklavin des Telefons – mit der Aufgabe, die Leitung ständig freizuhalten? Aber ganz davon abgesehen – wenn sie nicht zuhause war, würde niemand mehr das Telefon für mehr als eine Minute blockieren. Da standen die Chancen entschieden besser, dass Gerd hier durchkäme.
Rrring
Schon wieder. Das gab es doch gar nicht. Wer rief jetzt an?
Dass es Gerd war, wagte sie kaum mehr zu hoffen. Nur noch ein klein wenig. Gerade soviel, dass ihre Hand ein bisschen zitterte.
„Hallo?“
„Na? Hast du es dir überlegt?“
„TOM.“ Jetzt schrie sie. „WARUM RUFST DU SCHON WIEDER AN?“
„Na, ich habe es dir doch gesagt, wir haben einen Engpass. Wie schnell kannst du deine Sachen abklären?“
„Ich mach es“, Franziska musste sich zusammenreißen, um nicht wieder zu schreien. „Am Montag fang ich an.“
„Morgen“, sagte Tom.
„Morgen ist Samstag“, widersprach Franziska.
„Samstag sind die Leute auch krank.“
„Montag“, beharrte Franziska. „Frühestens.“
„Meinetwegen“, gab Tom da nach. „Montag um acht.“
„Halt“, schrie Franziska. Tom machte sich Hoffnungen, da war sie ganz sicher. Also musste sie ihm die volle Wahrheit sagen. „Tom, ich habe mich verliebt.“
Schweigen.
„Hast du gehört? Ich habe mich in einen Mann verliebt“, wiederholte Franziska. „Das solltest du wissen, ehe du mich auf deine Station holst.“
Wieder drang nur Schweigen aus dem Hörer.
“Tom? Bis du noch da?“
Seine Stimme klang ein wenig brüchig. „Bis Montag um acht.“
Klack, er hatte aufgelegt.
Jetzt fühlte sich Franziska elend.
*
Tom ließ sein Handy sinken und seufzte. Hatte er eben noch zufrieden gelächelt, so hatte Franziska dieses Lächeln beim letzten Telefonanruf aus seinem Gesicht gewischt.
Dabei hatte er sie - in einem reinen Dienstverhältnis, wie sie ja sofort explizit hatte klarstellen müssen. Dabei war sie es, die ihn angerufen hatte. Weil sie mit ihm dieses Dienstverhältnis eingehen wollte. Das war doch besser als nichts, oder?
Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Franziska kam. An seine Klinik. Als seine engste Mitarbeiterin.
Klar, es war bitter, sie nach wie vor darauf beharren zu hören, dass er sich keine Hoffnungen machen dürfe. Und diesmal hatte sie sogar explizit gesagt, dass sie sich neu verliebt habe. Schöne Scheiße! Andererseits – sie hatte sich eben nicht wirklich glücklich angehört. Hatte ja auch diesen Hang, sich in die falschen Männer zu verlieben. In solche, die sie nicht glücklich machten. Während er, Tom Dyckerhoff, auf sie wartete.
War es denn so abwegig, dass ihr das doch noch eines Tages klar werden würde? Dass er, Tom, es war, der sich so wünschte, sie glücklich zu machen?
Immerhin wollte sie mit ihm zusammenarbeiten. Das bedeutete doch, dass sie ihn trotz allem gern hatte, oder? Gedankenverloren machte er sich auf den Weg zur Cafeteria. Egal, wie es kommen würde: Zumindest das könnte er in Zukunft mit Franziska zusammen tun: Kaffee trinken, hier in der Cafeteria. Und allein dieser Gedanke war ein Grund, jetzt wieder zufrieden zu lächeln.
Diagnosen
Franziska hob ihr Stethoskop. „Bitte tief ein- und ausatmen.“
Die Patientin holte hörbar Luft, hustete, atmete aus. Ein, aus.
„Danke, jetzt bitte husten.“
Drei Wochen lang plagte sie sich nun schon in der Ambulanz des Albertus-Krankenhauses mit Bagatellen herum. Das war Assistenzarzt-Brevier. Immer und immer wieder grippale Infekte, Husten, Laryngitis, Magen-Darm-Katarrhe. Erkrankungen, die furchtbar aufhielten, weil es den Patienten wirklich schlecht ging, gegen die man aber auch nicht viel machen konnte. Ein Patient mit Laryngitis zum Beispiel musste seinen Hals einpinseln
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