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Der Mann mit den zwei Gesichtern

Der Mann mit den zwei Gesichtern

Titel: Der Mann mit den zwei Gesichtern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Runa Winacht , Maria G. Noel
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Station. Franziska warf die Einmalhandschuhe, die sie während der Untersuchung getragen hatte, in den Müll und hängte sich ihr Stethoskop um den Hals.
    In diesem Moment leuchtete die Anzeige auf. Doch noch einer.
    Sie ging zum Warteraum. „Der Nächste bitte.“
    Ein junger Mann erhob sich. Roter Kopf, aber blass um die Nase, Schweißperlen auf der Stirn, fiebrig glänzende Augen.
    Er keuchte, hatte wohl ebenfalls einen Atemwegsinfekt.
    „Da geht was rum“, sagte Franziska, während sie neben dem Mann zum Untersuchungsraum ging. „Hier entlang, bitte.“
    „Schon seit Tagen geht das so.“ Der Mann keuchte und rasselte heftig, wenn er sprach. Seine Stimme krächzte dabei.
    „Sie hören sich aber gar nicht gut an“, sagte Franziska und schlüpfte in frische Gummihandschuhe. Sie tippte auf Lungenentzündung. „Machen Sie bitte den Oberkörper frei und nehmen Sie hier Platz.“ Sie deutete auf die Untersuchungsliege.
    Als der Mann vor ihr saß, untersuchte sie zuerst die Schleimhäute von Augen, Nase und Mund, sah in die Ohren, tastete die Lymphknoten ab. Ja, ein Infekt, aber alles im Rahmen. Doch die Haut des Mannes fühlte sich feuchtheiß an. „Sie haben Fieber.“
    Der Mann nickte, winkte aber ab. „Nicht so schlimm.“
    „Oh, ich denke aber schon.“ Franziska holte das Ohrthermometer, stülpte eine neue Hülse über den Sensor und steckte das Thermometer ins rechte Ohr des Mannes. „Vierzig Komma Vier“, sagte sie. „Das ist keine Bagatelle mehr.“
    Dann hörte sie ihn ab. Der Atem in der Lunge rasselte heftig. „Eindeutig eine Lungenentzündung“, sagte sie. „Das passt auch zum Fieber.“
    „Hab ich auch schon mehrere Tage“, keuchte der Mann.
    „Glaub ich Ihnen gerne.“ Franziska warf einen Blick auf seine abgelegte Kleidung, die Hose und Schuhe, die er immer noch trug. „Wo wohnen Sie denn?“
    „Tja.“ Der Mann lächelte unbeholfen. „Sie sehen es doch selbst.“
    Ja, sie hatte es gesehen. Und gerochen. Dieser Mann wohnte nirgendwo, beziehungsweise immer dort, wo sich eine Gelegenheit ergab. In Abbruchhäusern, in Rohbauten, unter der Brücke.
    „Ich will Sie noch einmal abhören“, sagte Franziska, ging um die Untersuchungsliege herum und legte das Stethoskop auf den Rücken des Mannes. Ja, eindeutig, eine Lungenentzündung. Das Rasseln war typisch. Aber da war noch ein Geräusch, das sie nicht einordnen konnte. „Sie bleiben am besten gleich hier, Herr ...“, sagte sie und sah den Mann abwartend an.
    „Lehmann“, sagte er, ihre unausgesprochene Frage damit beantwortend. Er nickte. „Dann weiß ich wenigstens, wo ich heute Nacht schlafe.“
    „Ziehen Sie sich schon mal an, ich bestelle ein Bett für Sie.“ Sie rief auf der Station an: „Ich bring euch gleich einen Patienten. Lungenentzündung.“
    Dann wandte sie sich um: „Herr Lehmann, ich begleite Sie. Kommen Sie mit.“
    Axel Lehmann wurde von Andrea in Empfang genommen, bekam ein Bett in einem Einzelzimmer. Franziska ging ins Arztzimmer. Dort brütete Tom über Akten. Er sah auf, als sie den Raum betrat. „War heute viel los?“
    „So, wie in den letzten Tage auch“, sagte Franziska. „Massenhaft Magen-Darm-Infekte. Jetzt zum Schluss noch eine heftige Bronchitis und eine Lungenentzündung.“
    Sie legte das Aufnahmeblatt von Herrn Lehmann vor Tom auf den Tisch. „Seine Lunge klingt irgendwie merkwürdig. Vielleicht hörst du ihn auch noch ab. Ich hab noch nie eine Tuberkulose diagnostiziert, aber das klang mir doch ganz so, wie es in den Lehrbüchern beschrieben steht.“
    „Wunderbar“, seufzte Tom. „Ich hör mir diese Lunge gleich an und schick den Mann zum Röntgen. Wenn sich dein Verdacht bestätigt, kommt er gleich morgen zur Bronchoskopie. Willst du dabei sein?“
    Franziska nickte. Eine Lungenspiegelung hatte sie bisher nur einmal gesehen – in einem großen Untersuchungsraum, voller neugieriger Studenten. „Das ist mal was anderes.“
    „Auch wenn deine ursprünglich kardiologischen Vorstellungen von der Assistenzzeit sich um einiges von der Realität hier unterscheiden dürften“, sagte Tom und sah Franziska aufmerksam an, „ich für meinen Teil bin mit dir voll und ganz zufrieden. Du machst deine Arbeit gut.“
    „Danke“, sagte Franziska und setzte sich unaufgefordert auf den Stuhl vor dem Schreibtisch.
    „Wie geht es dir?“
    Ständig fragte er sie das. Seitdem er mitbekommen hatte, dass der Mann, den sie liebte, sich nicht mehr meldete. Immer sah er sie dabei mit prüfenden Augen an.

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