Der Mann ohne Vergangenheit
ihn gewußt haben, als sie je zugaben. Für den unwahrscheinlichen Fall, daß er Haven je wiedersehen würde, hätte er entschieden einige Fragen an ihn zu richten.
Die Straße zur Linken herauf brummte ein weiterer Panzerwagen heran. Beinahe gleichzeitig flammten von beiden Autos Scheinwerfer auf und blendeten ihn. Er ließ sich zu Boden fallen und vergrub das Gesicht in den Armen. Die beiden Granaten explodierten an der Stahl wand hinter ihm, und der Explosionsdruck schleuderte ihn mitten auf die Straße zwischen die beiden näher rückenden Fahrzeuge.
Sein Mantel wurde in Fetzen gerissen, und die Nase fing zu bluten an. Ihm drehte sich alles ein bißchen im Kopf, aber im übrigen war er unverletzt. Er beschloß, einstweilen dort liegenzubleiben, wo er hingefallen war.
Einer der Scheinwerfer spielte über die Staubwolke. Alar sah den Strahl über sich leuchten wie eine Sonne, die mit ihren Strahlen den verhängten Himmel zu durchdringen sucht. In dem Maße, in dem sich der Staub legte, rückte auch das Licht näher an ihn heran. Er wußte, daß sie nur auf der Stelle traten, bis ein Leichnam sichtbar wurde – sein Leichnam. Der andere Scheinwerfer schoß über beinahe jeden Teil der Straße, in der er lag, hin und her. Sie ließen sich auf kein Risiko ein, falls der Schuß vielleicht nicht tödlich gewesen war.
Alar untersuchte den Boden neben sich. Auf den schotterbedeckten groben Pflastersteinen lag jetzt ein bißchen Schutt und eine Staubschicht, aber es gab keine Hohlräume, in denen er sich verkriechen konnte, keine Vertiefungen oder Gegenstände, die groß genug gewesen wären, daß er sich dahinter hätte verstecken können. Um ihn herum lag die Straße offen da, in der Ferne sperrten ihn die Autos und die Gebäude ein. Er wog die Chancen seines Entkommens ab, wenn er aufspränge, und erkannte sofort, daß er keine hatte. Er konnte sich nur niederducken und hoffen. Hoffen worauf? In ein paar Sekunden mußte der anklagende Lichtfinger auf ihn zeigen.
Es würde nicht sehr lange dauern.
Wie er so in dem stickigen, feuchten Schmutz lag, wünschte er sich inbrünstig, er hätte die legendären neun Leben der Katze und eines von ihnen würde aus der leuchtenden Staubwolke heraus auftauchen. Er konnte sich selbst durch den sich setzenden Nebel stolpern sehen, wie er ein Leben nach dem anderen im Feuer der Kanonen aushauchte. Und dabei genügend Zeit gewann, um …
Was war das?
Er blinzelte mit starrenden Augen. Er erblickte eine Gestalt. Ein mit einem zerrissenen Mantel, der ganz wie sein eigener aussah, bekleideter Mann stolperte durch den Dunst. Wer war das? Es spielte keine Rolle, denn in ein paar Sekunden würde die Gestalt niedergestreckt sein, würde ihr das Lebenslicht ausgeblasen sein. Der Mann war sich jedoch der Gefahr bewußt. Er sah rechts und links die Straße hinauf, bemerkte die Panzerwagen, die bereits sehr nahe herangekommen waren, dann lief er rasch die Stahlwand entlang, die parallel zur Straße von der Eingangsstiege her verlief.
Während Alar wie vom Donner gerührt hinstarrte, feuerte das am weitesten entfernte Auto, das jetzt mit dem Fremden etwa auf gleicher Höhe war, aus nächster Nähe auf ihn. Zugleich fuhr das andere Verfolgerauto nur ein paar Zentimeter vom Dieb entfernt vorbei und nahm die Verfolgung auf.
Wenn nun der Fremde dem sicheren Treffer unverletzt entging! Genauso war es! An die Mauer gedrückt, rannte die Schattengestalt weiter die Straße hinauf.
Zwei weitere Explosionen waren zu hören, eine knapp hinter der anderen.
Bevor er sie noch hörte, rannte Alar schon in entgegengesetzter Richtung die dunkle Straße hinunter.
In vierzig Sekunden hätte er, wenn ihm das Glück hold war, die Stiege erreicht, die das erste Panzerauto zuvor bewacht hatte, und wäre wieder „droben“. Dort hätte er Zeit, sich über den Mann den Kopf zu zerbrechen, der ihm, vielleicht ohne es zu wollen, das Leben gerettet hatte.
War irgendein Narr versehentlich durch die Polizeiabsperrung am Stiegenkopf in die Explosionswölkchen der Granaten geraten? Er verwarf diesen Einfall sofort wieder, nicht nur deswegen, weil er der kaiserlichen Polizei die Fähigkeit zutraute, eine so lückenlose Bewachung des Eingangs oben durchzuführen, daß nicht einmal eine Maus durchkäme, sondern auch, weil er das Gesicht erkannt hatte.
Ja, er hatte schließlich das Gesicht erkannt, als es von den Scheinwerfern frontal angestrahlt wurde. Er hatte es früher schon oftmals gesehen: die leicht
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