Der Mann schlaeft
aufgefressenem Mund, ein altkluges Mädchen und eine Touristin, die vielleicht nicht auf dem Foto abgebildet wäre, weil sie wie ein Geist war, der verschwinden würde, bei näherer Betrachtung. Man könnte unser Bild zum Beleg jedes Unrechts auf der Welt gebrauchen, uns als Flüchtlinge in mannigfache Krisengebiete setzen, wir würden unsere Aufgabe, das universelle Leiden zu repräsentieren, hervorragend erfüllen.
Wir treten unseren Vergnügungsausflug an wie Geschäftsleute auf dem Weg zu einer feindlichen Übernahme. Ich hätte, statt jetzt auf dem Boot die Hochhäuser Hongkongs anzustarren, in der Wohnung mir kaum vertrauter Leute hocken und aus dem Fenster sehen können.
Und doch sind die zwanzig Minuten Überfahrt noch der angenehme Teil des Ausflugs. Wie wenig heiter wir sind, wie wir Obacht geben, uns nicht zu berühren, als wir die Fähre verlassen. Ich habe mich noch nie gerne in Gruppen bewegt, meine Beine werden dann immer sehr müde, mein Kopf von Rauschen erfüllt, und ich möchte sofort einschlafen. Unternehmungen, die zum Ziel haben, dass mehr als zwei Menschen sich bewegen, um etwas zu erleben, machen mir große Angst.
Kim geht ernsthaft neben mir und der Masseur uns voran, als hätte er eine Mission zu erfüllen. Er schiebt seinen massigen Körper durch den Feierabendverkehr und scheint entschlossen, Spaß zu haben. Kim und ich versuchen, ihn nicht zu verlieren, inmitten Tausender Leiber, ich sehe, wie das Kind schwitzt und sein Lächeln zu gefrieren scheint, es wird der denkwürdige Tag für sie, an dem ihr Großvater zu leben beginnt. Doch weder habe ich etwas mit ihrer Familiengeschichte zu tun, noch spüre ich die emotionale Langeweile, aus der heraus man mitfühlend wird, das Weinen beginnt, wenn man Großväter sieht, die aus dem Krieg heimkehren, und die Tochter, mit der er seit sechzig Jahren kein Wort gewechselt hat, ist amputiert und bäckt ein Brot mit den Füßen.
Mir gehen andere und ihre verdammten Schicksale momentan nicht sehr nahe.
Wir sind unterdessen von mir unbemerkt zur Rolltreppegelangt, die kilometerlang am Hang liegende Banker-Appartement-Hochhäuser mit im Tal herumstehenden Banken verbindet.
Es ist warm, und der Geruch nach Meer, Garküche und Reichtum, der für Hongkong typisch ist, verändert etwas in mir. Sätze zu sagen oder zu denken wie: Der Geruch nach Meer, Garküche und Reichtum, der für Hongkong typisch ist, hätte uns zum Lachen gebracht, als es ein Uns gab. Die Erinnerung kommt so plötzlich, dass ich Halt suchen muss. Nichts zum Halten.
Auf jedem Meter der Straße steht ein Bild aus der Vergangenheit, wie ein Pappaufsteller.
Ich sehe den Mann und mich in einem Café sitzen, schlecht über die Menschen reden, die auf der Rolltreppe an uns vorüberfahren, sehe uns mittags in Suppenküchen, abends Touristen schauend in Sushi-Restaurants, der Markt, über den wir gelaufen waren, um Aas unsere Aufwartung zu machen, ich sehe mich neben ihm laufen, meine Arme nicht lang genug, ihn zu umfassen. Ich erinnere mich daran, dass ich immer glücklich war, neben ihm.
Ich versuche die Bilder zu verdrängen, durch das zu ersetzen, was ist, doch es ist so wenig beeindruckend zu sehen, wie drei Menschen in Fremdheit einen Hügel besteigen.
Beim Contest glamouröser Situationen würde die unsere den letzten Platz belegen, hinter dem Schäferhund, der gelähmt ist und seine Hinterläufe in einem Wägelchen nach sich zieht.
Ich würde im Moment ein Bein hergeben oder beide, um noch einmal den Mann anfassen zu können, noch einmal zu spüren, wie es ist, nicht allein zu sein auf dieser unerfreulichenWelt, in der die Menschen nur darauf warten, über die toten Körper der Artgenossen zu steigen, ich habe den Planeten selten als so feindlichen Ort empfunden wie jetzt, da ich nicht mehr in der Lage bin, Kontakt zu irgendjemandem aufzunehmen.
Mit all jenen, die mir gerade körperlich so nahe sind, die mich berühren, deren Atem ich in meine Lungen fülle, verbindet mich weniger als mit der Erinnerung an den Mann. Der Masseur sucht ein Restaurant, in dem er mit seiner Frau gewesen war – als sie noch lebte, versteht sich, wer geht schon mit der Leiche seiner Frau zu Tisch.
Ich bezweifle, dass ich die Kraft habe, mit den beiden entspannt zu sitzen, ihr Schweigen zu ertragen und die Schwierigkeiten zu beobachten, die sie miteinander haben. Der Ausflug entwickelt sich zu einem kompletten Desaster. Es ist sehr selten so, dass lustlos begonnene Unternehmungen sich zu einem
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