Der Marathon-Killer: Thriller
ihren Posten festhalten konnten.
Fieldings Information sollte einer der größten polnischen IT-Firmen einen entscheidenden Vorteil verschaffen,
wenn nächsten Monat die Angebote für ein Regierungsprojekt in Brüssel im Wert von vielen Millionen Euro abzugeben waren. Die Berichte des MI6 wurden noch immer »CX« (Cumming exclusively) genannt, nach dem ersten Leiter des britischen Auslandsgeheimdiensts Mansfield Cumming. Fielding griff nach seinem Füller und unterschrieb mit grüner Tinte, ebenfalls eine Angewohnheit von Cumming. Borowski würde es gefallen.
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Marchant wusste, die beste Tarnung für einen Spion war diejenige, die sich am stärksten an seinem eigenen Leben orientierte. Nach endlosen Stunden voller Verhöre, dem Zwang zu stehen und Schlafentzug verwirrte sich selbst der Verstand des zähesten Agenten und fiel in seine »Grundeinstellungen« zurück. Je weniger die sich von der Tarnung unterschieden, desto besser. Die Namen von Exfreundinnen, sexuelle Vorlieben, die Reiseroute während einer Auszeit von Studium oder Job, Lieblingsmusik oder selbst die Menge Zucker im Tee: Das sollte ein Spion so beibehalten wie in seinem wirklichen Leben. Während Marchant auf seinem Bett in einem Warschauer Hostel lag und sich seinen neuen Lebenslauf durchlas, musste er unwillkürlich lächeln: Es ging zurück nach Indien.
Prentice hatte Marchant um die Ecke vom Oki Doki Hostel am Plac Dabrowskiego abgesetzt, direkt im Zentrum der polnischen Hauptstadt. Es war eine beliebte Unterkunft für Rucksacktouristen - Engländer, Franzosen, Italiener -, die auch die Bar bevölkerten, als Marchant an der Rezeption unter dem Namen eincheckte, der in seinem irischen Reisepass stand - David Marlowe. Das Hostel vermittelte eine schicke Hippie-Atmosphäre und erinnerte ihn an eines in Haight-Ashbury, in dem er
mal übernachtet hatte. Jedes Zimmer und jeder Schlafsaal war von einem anderen Künstler der Gegend gestaltet worden. Prentice hatte für Marchant das Dom Browskiego reserviert, das einzige Einzelzimmer, das zudem in Frühlingsfarben gestaltet war. Einen Augenblick lang wünschte er, Leila wäre bei ihm, doch er verdrängte den Gedanken sofort wieder und ließ seinen Rucksack auf das Fußende des Bettes fallen. David Marlowe kannte niemanden namens Leila.
Er blickte sich im Zimmer um und entdeckte in der Ecke ein Waschbecken. Als er sich das Gesicht wusch, sein Bild im Spiegel sah und ein paar Wassertropfen von seinem unrasierten Kinn fielen, war er sofort zurück in Stare Kiejkuty. Er zwang sich, an etwas anderes zu denken. Offensichtlich war er zum Streitobjekt zwischen MI6 und MI5 geworden, und Letzterer hatte ihn der CIA ausgeliefert. Da Prentice in dem Geheimgefängnis aufgetaucht war, hatte Fielding ihn vermutlich noch nicht endgültig fallen gelassen, was ermutigend war. Prentice hatte ihm allerdings klargemacht, dass die Unterstützung durch den MI6 Grenzen hatte. Der Pass, das Geld (tausend US-Dollar), das Ticket nach Delhi, seine neue Identität: Mehr konnte Fielding nicht für ihn tun. Den Rest musste er selbst erledigen.
Er legte sich aufs Bett, die Füße auf den Rucksack, und dachte über sein neues Leben nach: David Marlowe (die gleichen Initialen wie seine eigenen) nahm eine einjährige Auszeit, in der er um die Welt reisen wollte, den Anfang machte er in Europa. Er hatte sein Studium Neuerer Geschichte am Trinity College, Cambridge, abgeschlossen, genauso wie er selbst. Der MI6, das wusste Marchant,
hatte Absprachen mit verschiedenen Colleges in Oxford und Cambridge sowie einigen neueren Universitäten, damit dort Anfragen per Telefon oder per E-Mail beantwortet wurden. Falls jemand im Trinity anrief und sich erkundigte, ob ein gewisser David Marlowe dort studiert habe, würden die Pförtner den Namen auf einer Liste finden; falls jemand schrieb, wurde die Anfrage über eine Postfachadresse ins Hauptquartier nach London weitergeleitet.
Während seines eigenen Reisejahrs hatte Marchant sich nur kurz in Polen aufgehalten, er musste selbst entscheiden, welche Orte Marlowe besucht hatte (der Lebenslauf ging hier nicht ins Detail): eine Woche in Krakau, um sich in den Jazzclubs herumzutreiben, und anschließend einige Tage in Warschau. Ursprünglich hatte David Marlowe geplant, weiter im Land herumzureisen (der Polen-Reiseführer war sichtlich abgegriffen), sich aber dann entschieden, zunächst nach Indien zu fliegen, weil er das kalte Wetter satthatte - das war das Hauptthema an der Hostel-Bar
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