Der Marathon-Killer: Thriller
sonst der Gürtel aufgefallen war. Doch er wusste, die Amerikaner hätten einem so riskanten Plan höchstwahrscheinlich nicht zugestimmt. Wie man es auch betrachtete, Leila war die einzige Person, die seine Unschuld hätte beweisen können. Warum hatte sie es nicht getan?
Er lehnte sich im Taxi zurück und schloss die Augen. Seit der Landung in Indien, wo ihn so viele widerstreitende Erinnerungen eingeholt hatten, war ihm keine Zeit mehr
geblieben, in Ruhe nachzudenken. Seine Ankunft am Indira-Gandhi-Flughafen am gestrigen Abend hatte sich viel anstrengender entwickelt als erwartet. Bei der Passkontrolle hatte niemand etwas an dem Pass auf den Namen David Marlowe oder an dem Touristenvisum auszusetzen gehabt, doch die Sicherheitskontrollen auf dem Flughafen hatten ihn überrascht. Überall waren Polizisten gewesen, die aufs Geratewohl Gepäckstücke durchsuchten. Draußen entlang der Hauptstraße zur Stadt standen Armeelaster, in denen Soldaten in der Hitze schwitzten.
Die Szene erinnerte ihn an Heathrow im Jahre 2003, als Scimitar- und Spartan-Spähpanzer patrouilliert hatten, um die Terminals zu bewachen. Er hatte damals kurz vor dem ersten Examen in Cambridge gestanden und die schrecklichen Zeitungsberichte gelesen: Das war einer dieser belebenden, selbstbewussten Augenblicke gewesen, in denen er genau wusste, was er mit seinem Leben anfangen wollte. Wenn er damals nur gehandelt hätte und ehrlich zu sich und seinem Vater gewesen wäre, anstatt Jahre damit zu verschwenden, allen vorzugaukeln, Journalist werden zu wollen, nur um etwas auszuprobieren - irgendetwas -, bei dem er nicht in die Fußstapfen seines Vaters treten musste.
Einen Moment lang hatte er geglaubt, die Inder seien über seine Ankunft informiert worden, doch dann entdeckte er den Grund für die verschärften Sicherheitsvorkehrungen. Den Zeitungen zufolge sollte in vier Tagen der US-Präsident in Delhi eintreffen. Marchant beschlich Unbehagen bei dieser Nachricht, wenn er daran dachte, dass sich Salim Dhar ebenfalls in diesem Land aufhalten würde. Der Besuch war Teil einer Reise durch vier Länder
auf dem Subkontinent. Bei dieser Gelegenheit würden Waffengeschäfte zwischen Washington und Delhi abgeschlossen werden, um Indiens Verteidigungskraft gegen China zu stärken.
Die Hauptstadt reinigte ihre Straßen und kalkte die Wände in fieberhafter Erwartung des hohen Besuchs. Die Straße vom Flughafen zum Maurya Hotel, wo die Entourage des Präsidenten untergebracht werden sollte, verwandelte sich in eine Schneise der Sauberkeit. Die Stadt Agra putzte sich ebenfalls heraus. In den Jamuna, der am Tadsch Mahal vorbeifloss, waren angeblich Tausende von Litern billigen Parfüms geleitet worden, um den Gestank der städtischen Abwässer zu überdecken. In den Ranthambore-Nationalpark hatte man Tiger gebracht, damit der Präsident bei seinem Besuch dort auf jeden Fall welche sichten würde. Marchant blieb nicht viel Zeit, um Dhar zu finden.
Nachdem er seinen schmuddeligen Rucksack vom Gepäckband genommen hatte, holte Marchant tief Luft und trat hinaus in die Ankunftshalle, wo er gegen eine Wand aus Hitze lief. Er wusste, als Rucksacktourist fehlte ihm das Geld für ein Taxi. (Die tausend Dollar von Hugo Prentice hatte er sorgfältig aufgeteilt zwischen seinem Geldgürtel und einem Geldbeutel, den er sich unter der Baumwollhose ans Schienbein gebunden hatte.)
Eine Horde schreiender Leute, die meisten in weißen Kurta -Hemden, drängte sich um ihn, bot Dienstleistungen an, zerrte an seinem Rucksack und brüllte ihm Brocken in Deutsch, Französisch, Italienisch und auch Englisch entgegen. Er setzte sich schließlich in die Motor-Rikscha eines Sikhs, allerdings nur, weil er größer war als die Konkurrenz
und irgendwie würdevoller wirkte. Nach einem nicht sonderlich vertrauenerweckenden Halt an der Tankstelle grinste der Fahrer in den wackligen Rückspiegel und fuhr auf die Autobahn nach Neu-Delhi, wobei er sich immer wieder umdrehte und unverständliche Bemerkungen über den amerikanischen Präsidenten von sich gab.
An den Bordsteinen schwenkten Straßenkehrer träge ihre Strohbesen in der Hitze, während Anstreicher Hemden und Saris von den Geländern entfernten, die den Mittelstreifen markierten, und dicke gelbe Emulsion auf die Metallbegrenzungen schmierten. Gelegentlich war die Straße spurweise gesperrt, wo Schlaglöcher gefüllt werden mussten oder neuer Asphaltbelag aufgebracht wurde. Frauen wrangen Lumpen über den großen Rädern von
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