Der Marathon-Killer: Thriller
verboten waren -, während der Mann eine Liste auf einem Klemmbrett durchging. Von irgendwo wehte Zigarrenrauch heran, und er brauchte einige Sekunden, bis er ein fernes Klicken mit Billardkugeln in Verbindung brachte. Wenn jetzt noch der Geruch von gekochtem Kohl dazukäme, würde Marchant sich wieder wie in seinem Internat in Wiltshire fühlen.
»Er ist beim Bridge im Spielzimmer«, sagte der Mann schließlich.
»Ich dachte, sie würden nicht vor acht anfangen.« Marchant hatte Malhotra vorher angerufen.
Der Mann betrachtete einen Augenblick lang Marchants zerknittertes Hemd, konnte seine Geringschätzung kaum verbergen und blickte dann auf die große Uhr an der Wand rechts von ihm. »Zurzeit genießen sie ihren Sundowner an der Bar. Erwartet er Sie?«
»Ja. Bitte sagen Sie ihm, dass David Marlowe hier ist.«
Zehn Minuten später saß Marchant Colonel Malhotra in einer Ecke der Bar gegenüber und nippte an einem Burra -Peg, einem doppelten Whisky.
»Als du noch ein kleiner frecher Junge warst - mein Gott, du warst richtig frech -, hast du mich immer ›Onkel‹ genannt«, sagte der Colonel, lachte und tätschelte Marchants Knie. »Du kannst mich weiter Onkel nennen. Onkel K. Den Namen hat dein Vater immer benutzt.«
Marchant hatte nur verblasste Erinnerungen an Onkel K: In seinem Haus hatten sie an manchem Sonntagnachmittag Mother India und andere alte Hindi-Filme geguckt. Sebastian und er beschwerten sich, weil das Pistazien- Kulfi nicht wie richtige Eiscreme schmeckte, und wurden von der Mutter dafür ausgeschimpft. Onkel K sang alle Lieder mit, und oft liefen ihm Tränen über das Gesicht. Später zog er sich mit Marchants Vater in einen anderen Teil des Hauses zurück, wo sie sich mit gesenkten Stimmen unterhielten, während ihre Mutter sich mit den Kindern beschäftigte.
Als Monika am Flughafen den Namen Malhotra erwähnt hatte, konnte er nicht sicher sein, dass es sich um den Onkel K aus seiner frühen Kindheit handelte. Erst als ihm der Colonel an der Rezeption mit offenen Armen entgegenkam, hatte Marchant Gewissheit. Im Laufe des Gesprächs stellten sich mehr und mehr Erinnerungen ein: wie diskret eine Flasche Scotch angenommen wurde, die man aus Großbritannien mitgebracht hatte; die Donnerbüchse an der Wand, die einst für die Tigerjagd benutzt worden war; das Händeschütteln, wenn jemand einen Witz gerissen hatte; Onkel Ks onkelhafte Güte nach Sebastians Tod.
»Dein Vater wollte nicht, dass du Indien wegen des Unfalls hasst«, sagte er. »Es hätte ja überall passieren können.«
Marchant hatte Delhi nicht wieder betreten, seit sie vor zwanzig Jahren als trauernde Familie abgereist waren, aber das erwähnte er nicht. In seinem Reisejahr war er mit dem Rucksack durch das Land gezogen und hatte den Weg für David Marlowe bereitet, doch er war die
ganze Zeit im Süden geblieben und anschließend in den Himalaja gefahren; Delhi hatte er bewusst links liegen lassen.
»Ich fürchte, deine Mutter ist trotzdem nie wieder gesund geworden«, sagte Onkel K.
»Nein«, antwortete Marchant, hörte jedoch nicht mehr genau zu. Seine Aufmerksamkeit wurde von einem Mann angezogen, der gerade mit einem Aktenkoffer an die Bar getreten war.
»Es tut mir leid wegen der Beerdigung. Aber ich konnte einfach nicht kommen.«
»Könnten wir über unseren gemeinsamen Freund sprechen?«, fragte Marchant und wandte sich wieder Onkel K zu. »Wir haben vielleicht nicht viel Zeit.«
»Was willst du wissen?«
»Warum hat mein Vater ihn besucht?«
Onkel K zögerte und blickte an der Bar entlang. »Ich habe versucht, ihn anzuwerben, vor einigen Jahren. Dafür hat man mich extra aus dem Ruhestand gerufen, aber es war sinnlos. Es bestand zwar eine gewisse Sympathie zwischen uns, doch sein Hass auf Amerika war einfach zu stark. Wir mussten ihn fallen lassen.«
»Hat mein Vater ebenfalls versucht, ihn anzuwerben?«
Onkel K hörte auf zu lächeln. »Du musst noch etwas über Salim Dhar wissen, aber ich bin nicht die Person, die es dir sagen sollte. Das muss er schon selbst tun.«
Marchant sah wieder zu dem Mann an der Bar, der jetzt auch zu ihnen blickte. Er hielt seinen Aktenkoffer in der Hand, umklammerte den Griff jedoch zu fest.
»Kannst du mir den Club zeigen?«, unterbrach Marchant den Colonel.
»Was, jetzt?«
»Ich brauche ein bisschen frische Luft.« Er deutete auf den Tisch neben sich, wo ein Brigadekommandant eine dicke Zigarre paffte.
»Natürlich«, sagte Malhotra, der Marchants Sorge spürte. »Hier kann
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