Der Medicus von Saragossa
konnte er nur auf dem Rücken liegen, und als er in einer davon vor Schmerzen nicht schlafen konnte, drang von der anderen Seite der Hütte kummervolles Jammern an sein Ohr.
Als er sich, nun selber unterdrückt aufstöhnend, erhob, merkte er, daß die heiseren Geräusche von Vicente Deza kamen. Er ging im Dunkeln zu dem alten Mann und kniete sich an sein Lager.
»Vicente?«
»Peregrino... Santo Peregrino...«
Vicente schluchzte abgehackt. »El Compasivo! Santo Peregrino
El Compasivo!«
Heiliger Pilger der Barmherzige. Was hatte das zu bedeuten? »Vicente«, sagte Jona noch einmal, aber der alte Mann hörte ihn nicht und plapperte unaufhörlich Gebete, in denen er Gott und diesen Pilgerheiligen anrief. Jona legte ihm die Hand auf die Stirn und seufzte, als er die Hitze in Vicentes Gesicht spürte.
Beim Aufstehen stieß er Vicentes Wasserflasche um, die mit einem Klirren zu Boden fiel.
»Was zum Teufel?« rief von seiner Ecke her Luis Planas, der aufgewacht war und nun auch Paco Parmiento aufweckte.
»Was ist?« fragte Paco.
»Es ist Vicente. Er liegt im Fieber.«
»Sieh zu, daß er still ist, oder bring ihn zum Sterben nach draußen«, sagte Luis.
Zuerst wußte Jona nicht, was er tun sollte. Aber dann fiel ihm ein, was Abba getan hatte, wenn er und Meir Fieber hatten. Er verließ die Hütte und stolperte durch die Nacht zur Schmiede, in der ein mit Asche belegtes Feuer flackerte wie eine Drachenzunge und einen roten Schein auf Tische und Werkzeuge warf. Er hielt eine Kerze an die Kohlen und zündete damit eine Öllampe an, in deren Licht er eine Schüssel suchte und mit Wasser aus einem Krug füllte. Dann nahm er sich einige von den Lumpen, die fürs Metallpolieren zurechtgeschnitten worden waren.
Er kehrte in die Hütte zurück und stellte die Lampe auf den Boden.
»Vicente«, sagte er.
Der alte Mann hatte sich voll bekleidet ins Bett gelegt, und nun zog Jona ihn aus. Vielleicht machte er mehr Lärm als nötig, oder vielleicht riß das flackernde Licht der Lampe Luis Planas wieder aus dem Schlaf.
»Der Teufel soll dich holen!« Luis setzte sich auf. »Hab ich dir nicht gesagt, du sollst ihn fortschaffen?«
Herzloser Mistkerl. Jona spürte Empörung in sich aufsteigen.
»Hör mal...«, sagte Luis.
Jona drehte sich um und machte einen Schritt auf ihn zu. »Leg dich schlafen.« Er gab sich Mühe, nicht respektlos zu klingen, aber die Wut machte seine Stimme heiser.
Einige Augenblicke lang verharrte Luis in halb sitzender Haltung und starrte quer durch den Raum böse diesen Lehrling an, der es wagte, so mit ihm zu sprechen. Schließlich legte er sich wieder hin und drehte das Gesicht zur Wand.
Paco war ebenfalls aufgewacht. Er hatte den Wortwechsel zwischen Luis und Jona gehört und lachte nun auf seinem Lager in sich hinein.
Vicentes Körper schien nur aus schmutziger Haut und Knochen zu bestehen, und seine Füße waren dreckverkrustet, aber Jona zwang sich, ihn sorgfältig zu waschen. Zweimal wechselte er das Wasser und rieb ihn danach mit trockenen Lumpen ab, damit er sich nicht erkältete.
Am nächsten Morgen war das Fieber gesunken. Jona ging in die Küche und bat den anderen Manuel, die Frühstücksgrütze mit heißem Wasser zu verdünnen. Dann trug er eine Schüssel in die Hütte und fütterte den alten Mann, ohne sich darum zu kümmern, daß er dabei sein eigenes Frühstück verpaßte. Als er anschließend in Luis' Hütte eilte, um sich zur Arbeit zu melden, fing der Meister ihn ab.
Jona wußte, daß Luis sich höchstwahrscheinlich bei Fierro über seine Unverschämtheit beschwert hatte, und machte sich auf eine Rüge gefaßt, aber der Meister fragte ihn nur mit ruhiger Stimme: »Wie geht es Vicente?«
»Ich glaube, er wird wieder gesund. Das Fieber ist verschwunden.«
»Das ist gut. Ich weiß, daß es manchmal schwierig ist, ein Lehrling zu sein. Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als ich Lehrling von Abu Adal Khira in Velez Malaga war. Er war einer der besten muslimischen Rüstungsschmiede. Inzwischen ist er tot, und seine Rüstungen gibt es nicht mehr.
Luis war mit mir Lehrling, und als ich nach Gibraltar ging, um meine eigene Schmiede zu eröffnen, nahm ich ihn mit. Luis ist ein sehr schwieriger Mensch, aber ein ausgezeichneter Rüstungsschmied. Ich brauche ihn in meiner Werkstatt. Verstehst du, was ich damit sagen will?«
»Ja, Meister.«
Fierro nickte. »Es war ein Fehler von mir, Vicente und Luis Planas in derselben Hütte unterzubringen. Kennst du die kleine Hütte hinter
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