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Der Meister

Der Meister

Titel: Der Meister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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der Firma Dupont namens ›Antron‹, das bei der Herstellung von Teppichböden verwendet wird.«
    »Und es ist dunkelblau?«, fragte Rizzoli. »Das ist eine Farbe, die die wenigsten Leute für ihr Wohnzimmer wählen würden. Es klingt eher nach einem Autoteppich.«
    Erin nickte. »Teppiche dieser speziellen Farbe, Nr. 802 Blau, gehören tatsächlich seit langem zur Standardausstattung von amerikanischen Automobilen der Luxusklasse. Cadillac und Lincoln zum Beispiel.«
    Rizzoli verstand sofort, worauf Erin hinauswollte. »Cadillac stellt Leichenwagen her«, sagte sie.
    Erin lächelte. »Und Lincoln auch.«
    Sie dachten beide dasselbe: Dieser Mörder ist jemand, der beruflich mit Leichen zu tun hat.
    Rizzoli überlegte, welche Personengruppen mit Toten in Kontakt kamen. Die Polizisten und Gerichtsmediziner, die immer hinzugezogen wurden, wenn ein Mensch gestorben war, ohne dass Zeugen zugegen waren. Der Pathologe und sein Assistent. Einbalsamierer und Bestatter. Die Mitarbeiter von Bestattungsinstituten, die den lieben Verstorbenen die Haare waschen und sie schminken, damit sie präsentabel sind, wenn die Angehörigen kommen, um sich zu verabschieden. Die Toten werden von einem Hüter zum nächsten weitergereicht, bevor sie zur letzten Ruhe gebettet werden, und diese Prozession kann an all jenen ihre Spuren hinterlassen, die mit dem Verstorbenen in Berührung gekommen sind.
    Sie wandte sich zu Erin. »Die vermisste Frau. Gail Yeager …«
    »Was ist mit ihr?«
    »Ihre Mutter ist letzten Monat gestorben.«
     
    Joey Valentine erweckte die Toten zu neuem Leben. Rizzoli und Korsak standen in dem hell erleuchteten Präparationsraum des Whitney-Bestattungsinstituts und sahen zu, wie Joey in seinem Schminkkoffer kramte. Mit den vielen kleinen Döschen, die Highlighter, Rouge und Puder enthielten, sah er aus wie ein ganz gewöhnlicher Theater-Schminkkasten, aber diese Cremes und Lippenstifte waren dazu bestimmt, der aschfahlen Haut von Leichen künstliches Leben einzuflößen. Aus einem Kassettenrekorder tönte Elvis Presleys Samtstimme, die »Love Me Tender« sang, während Joey Modellierwachs auf die Hände der Leiche drückte und damit die diversen Löcher und Einschnitte kaschierte, die Infusionskatheter und Arterienpunktionen hinterlassen hatten.
    »Das war Mrs. Obers Lieblingsmusik«, sagte er, während er arbeitete und dabei gelegentlich nach den drei Fotos schielte, die an der Staffelei neben der Bahre klemmten. Rizzoli nahm an, dass die Aufnahmen Mrs. Ober zeigten, wenngleich die lebendige Frau auf diesen Bildern nur wenig Ähnlichkeit mit dem grauen, ausgezehrten Leichnam hatte, den Joey bearbeitete.
    »Der Sohn hat mir erzählt, dass sie total auf Elvis gestanden hat«, fuhr Joey fort. »Drei Mal war sie in Graceland. Er hat mir die Kassette vorbeigebracht, damit ich sie mir anhören kann, während ich sie zurechtmache. Wissen Sie, ich lasse immer gerne ein Lieblingslied von dem Verblichenen laufen, während ich arbeite. Das hilft mir, ein Gefühl für den Menschen zu entwickeln. Wenn man weiß, welche Musik jemand hört, dann weiß man schon eine ganze Menge über ihn.«
    »Und wie sollte ein Elvis-Fan so aussehen?«, fragte Korsak.
    »Na, Sie wissen schon – grellerer Lippenstift, aufwendigere Frisur. Ganz anderes als jemand, der, sagen wir, Schostakowitsch hört.«
    »Und welche Musik hat Mrs. Hallowell gehört?«
    »Daran kann ich mich nicht mehr erinnern.«
    »Es ist erst einen Monat her, dass Sie sie hier auf dem Tisch hatten.«
    »Ja, aber ich erinnere mich nicht immer an alle Einzelheiten.« Joey war inzwischen mit den Händen fertig. Jetzt trat er an das Kopfende der Bahre, wobei er zum Rhythmus von »You Ain’t Nothing but a Hound Dog« mit dem Kopf wippte. Mit seinen schwarzen Jeans und seinen Doc-Martens-Schuhen wirkte er wie ein trendiger junger Künstler, der sinnend vor einer weißen Leinwand steht. Aber seine Leinwand war erkaltetes Fleisch, und sein Handwerkszeug waren der Make-up-Pinsel und der Rougetopf. »Noch ein bisschen Bronzeglanz hell, denke ich«, sagte er und griff nach dem entsprechenden Döschen. Mit einem Spatel begann er die Farben auf einer Palette aus rostfreiem Stahl zu mischen. »Ja, das ist genau das Richtige für ein altes Elvis-Girl.« Er machte sich daran, die Schminke auf den Wangen der Toten zu verteilen, bis hin zum Haaransatz, wo die silbergrauen Wurzeln unter der schwarzen Färbung hervorblitzten.
    »Vielleicht erinnern Sie sich noch an Ihr Gespräch mit Mrs.

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