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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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Endlich entschloss sie sich, mit ihm zu reden; sie hörte ihm aufmerksam zu, während er seine Enttäuschung über London und all seine ehrgeizigen Zukunftsträume vor ihr ausbreitete.
    »Es mag ja sein, dass ich nichts tauge, aber man soll es mich doch wenigstens versuchen lassen. Noch mehr fehl am Platz als in diesem widerwärtigen Büro in London werde ich nirgends sein. Und ich fühle es in mir, dass ich malen kann. So etwas weiß man.«
    Sie war nicht so überzeugt wie ihr Mann, dass es richtig wäre, eine so starke Neigung zu unterdrücken. Sie hatte über große Maler gelesen, deren Eltern sich ihrem Wunsch zu lernen widersetzt hatten; mit welchem Resultat, hatte sich gezeigt; und warum sollte es für einen Maler nicht ebenso möglich sein, ein tugendhaftes Leben zur Ehre Gottes zu führen, wie für einen geprüften Bücherrevisor?
    »Ich fürchte mich so davor, dass du nach Paris gehst«, sagte sie kläglich. »Es wäre lange nicht so schlimm, wenn du in London studieren wolltest.«
    »Wenn ich ernsthaft malen lernen will, muss ich es gründlich tun. Und das kann man nur in Paris.«
    Auf seine Anregung hin schrieb Mrs.   Carey an den Familienanwalt, dass Philip mit seiner Arbeit in London unzufrieden sei, und bat ihn um seinen Rat. Mr.   Nixons Antwort lautete folgendermaßen:
Liebe Mrs.   Carey,
Ich habe Mr.   Carter besucht und muss Ihnen leider mitteilen, dass man mit Philip nicht so zufrieden war, wie es zu wünschen gewesen wäre. Wenn er eine ausgesprochene Abneigung gegen die Arbeit hat, dann ist es vielleicht ratsam, dass er von seinem Vertragsrecht Gebrauch macht und seine Tätigkeit nach diesem ersten Jahr abbricht. Ich bin natürlich enttäuscht, aber Sie wissen, man kann ein Ross wohl zur Tränke führen, nicht aber es zwingen zu trinken.
Ihr sehr ergebener
Albert Nixon
    Der Brief wurde dem Vikar gezeigt, diente aber lediglich dazu, seine Halsstarrigkeit zu versteifen. Er hatte nichts dagegen, dass Philip irgendeine andere Laufbahn ergriff, und schlug zum Beispiel den Beruf seines Vaters vor, aber nichts würde ihn bewegen, Philip seinen Monatswechsel auszuzahlen, wenn er nach Paris ginge.
    »Das ist doch nur ein Vorwand, um sich ungestört zu amüsieren und gehenzulassen.«
    »Wie interessant, dass du anderen vorwirfst, sich gehenzulassen«, gab Philip säuerlich zurück.
    Aber inzwischen war Antwort von Hayward eingetroffen, der Philip ein Hotel nannte, in dem er für dreißig Francs monatlich ein Zimmer bekommen konnte; außerdem lag ein Empfehlungsbrief an eine Zeichenschule bei. Philip las den Brief Mrs.   Carey vor und kündigte an, am ersten September abzureisen.
    »Aber hast du denn Geld?«, fragte sie ihn.
    »Ich werde heute nach Tercanbury fahren und den Schmuck verkaufen.«
    Er hatte von seinem Vater eine goldene Uhr samt Kette, zwei oder drei Ringe, ein Paar Manschettenknöpfe und zwei Krawattennadeln geerbt. Eine davon war mit Perlen besetzt und konnte ihm eine beträchtliche Summe einbringen.
    »Das sind zwei sehr verschiedene Dinge: was eine Sache wert ist und was man für sie bekommt«, sagte Tante Louisa.
    Philip lächelte, denn das war eine der Lieblingssentenzen seines Onkels. »Ich weiß, aber im ungünstigsten Fall bekomme ich hundert Pfund für das Ganze, und damit kann ich leben, bis ich einundzwanzig bin.«
    Mrs.   Carey antwortete nicht, sondern ging hinauf in ihr Zimmer, setzte ihr kleines schwarzes Hütchen auf und begab sich zur Bank. Nach einer Stunde kam sie zurück. Sie trat zu Philip hin, der im Salon saß und las, und überreichte ihm ein Kuvert.
    »Was ist das?«, fragte er.
    »Ein kleines Geschenk für dich«, lächelte sie schüchtern.
    Er öffnete es und fand elf Fünf-Pfund-Noten und ein kleines, prall mit Pfundmünzen angefülltes Papiersäckchen.
    »Ich wollte nicht, dass du den Schmuck deines Vaters verkaufst. Dieses Geld hatte ich auf der Bank liegen. Es sind fast hundert Pfund.«
    Philip errötete, und unversehens standen ihm die Augen voll Tränen.
    »Ach, meine Liebe, das kann ich nicht annehmen«, sagte er. »Es ist schrecklich gut von dir, aber es geht wirklich nicht.«
    Als Mrs.   Carey geheiratet hatte, hatte sie dreihundert Pfund besessen, und dieses sorgsam gehütete Geld hatte sie dazu verwendet, verschiedene unvorhergesehene Ausgaben zu bestreiten, die sich als dringend nötig erwiesen, oder Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke für ihren Mann und Philip zu besorgen. Im Laufe der Jahre war dieses kleine Vermögen traurig

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