Der Menschen Hoerigkeit
genießen sie wenig Gelegenheit hatten. Sie wären nicht so erschrocken, hätte ich anstelle von Vergnügen von Glück gesprochen: Das klingt weniger schockierend, und Ihr Geist wandert vom Stall des Epikur in dessen Garten. Aber ich will vom Vergnügen sprechen, denn ich sehe, dass die Menschen es darauf abgesehen haben, und ich wüsste nicht, dass sie es auf Glück abgesehen haben. In jeder Ihrer Tugenden ist praktisch das Vergnügen versteckt: Der Mensch vollzieht Handlungen, weil sie für ihn gut sind, und wenn sie auch noch gut für andere sind, gelten sie als tugendhaft. Wer Vergnügen darin findet, Almosen zu geben, ist wohltätig; wer Vergnügen daran findet, anderen zu helfen, ist gütig; wer Vergnügen darin findet, für die Gesellschaft zu arbeiten, ist sozial gesinnt; aber es ist Ihr Privatvergnügen, einem Bettler zwei Pennys zu geben, ebenso wie es mein Privatvergnügen ist, noch einen Whisky-Soda zu trinken. Ich, der ich mich weniger beschwindle als Sie, lobe weder meine Vergnügungen, noch begehre ich Ihre Bewunderung.«
»Aber haben Sie niemals Leute gesehen, die Dinge taten, die sie nicht tun wollten, anstatt das zu tun, was sie wollten?«
»Nein. Sie stellen Ihre Frage töricht. Sie meinen damit nichts anderes, als dass die Menschen einen sofortigen Schmerz hinnehmen anstelle einer sofortigen Lust. Der Einwand ist so töricht wie die Art, in der Sie ihn vorgebracht haben. Es ist klar, dass die Menschen den sofortigen Schmerz hinnehmen, aber doch nur, weil sie in der Zukunft eine umso größere Lust erwarten. Oft ist diese Lust eine Illusion, aber ihr Berechnungsfehler ist keine Widerlegung der Regel. Sie sind verwirrt, weil Sie sich nicht von der Vorstellung lösen können, dass Vergnügen nur die Sinne betrifft; aber, mein Kind, wenn einer für sein Vaterland stirbt, stirbt er, weil er – und darauf können Sie sich verlassen – es ebenso gern tut wie ein Mann, der sauren Kohl isst, weil er ihn mag. Es ist ein Naturgesetz. Wenn es dem Menschen möglich wäre, den Schmerz der Lust vorzuziehen, wäre das Menschengeschlecht längst ausgestorben.«
»Aber, wenn das wahr ist«, rief Philip, »was hat dann das Leben für einen Sinn? Wenn Sie Pflicht, Güte und Schönheit wegnehmen – wozu sind wir dann auf der Welt?«
»Hier kommt der prunkende Orient und bringt uns die Antwort«, lächelte Cronshaw.
Er zeigte auf zwei Gestalten, die in diesem Augenblick die Tür des Cafés öffneten und einen Windstoß kalter Luft mit hereinbrachten. Es waren hausierende Levantiner, die billige Teppiche verkauften, und jeder trug ein Bündel über dem Arm. Das Café war in diesem Abend sehr voll. Sie gingen von Tisch zu Tisch, und in die schwer rauchvernebelte und von menschlicher Ausdünstung verpestete Atmosphäre brachten sie einen Hauch von Geheimnis. Sie hatten schäbige europäische Kleider an, ihre dünnen Mäntel waren fadenscheinig, aber jeder trug einen Tarbusch. Ihre Gesichter waren grau vor Kälte. Einer war ein Mann mittleren Alters, mit einem schwarzen Bart, aber der andere war ein achtzehnjähriger Jüngling mit einem von Pockennarben zerfressenen Gesicht und nur einem Auge. Sie kamen an Cronshaw und Philip vorbei.
»Allah ist groß, und Mohammed ist sein Prophet«, sagte Cronshaw feierlich.
Der Ältere kam mit einem kriecherischen Lächeln wie ein an Prügel gewöhnter Köter heran. Mit einem Seitenblick zur Tür und einer schnellen, verstohlenen Bewegung zeigte er ein pornographisches Bild.
»Bist du Masr-ed-Deen, der Kaufmann von Alexandrien, oder bringst du deine Ware aus dem fernen Bagdad, o mein Oheim; und jener einäugige Jüngling, sehe ich in ihm einen jener drei Könige, von denen Scheherezade ihrem Gebieter erzählte?«
Das Lächeln des Hausierers wurde noch kriecherischer, obwohl er kein Wort von dem verstand, was Cronshaw sagte, und wie ein Hexenmeister holte er eine Rosenholzschachtel hervor.
»Zeige uns die köstlichen Gewebe morgenländischer Webstühle«, sagte Cronshaw, »denn ich möchte eine Weisheit anschaulich machen und eine Geschichte erläutern.«
Der Levantiner faltete ein Tischtuch auseinander, rot und gelb, vulgär, scheußlich und grotesk.
»Fünfunddreißig Francs«, sagte er.
»O mein Oheim, dieses Tuch kannte nicht die Weber von Samarkand, und diese Farben wurden nie in den Bottichen von Buchara gemischt.«
»Fünfundzwanzig Francs.« Der Hausierer lächelte unterwürfig.
»Ultima Thule ist der Ort seiner Herstellung, vielleicht sogar Birmingham, der Ort
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