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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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Tür, und viele der Studenten waren über die kurzen Ferien aufs Land gefahren; aber Philip hatte die Einladung seines Onkels, nach Blackstable zu kommen, abgelehnt. Er führte die bevorstehende Prüfung als Entschuldigung an, in Wirklichkeit jedoch hatte er sich nicht entschließen können, London und Mildred zu verlassen. Nun blieben ihm nur mehr vierzehn Tage für einen auf drei Monate berechneten Stoff, und er fing ernsthaft zu lernen an. Von Tag zu Tag fand er es leichter, nicht an Mildred zu denken. Er beglückwünschte sich zu seiner Charakterstärke. Sein Schmerz war nun keine Qual mehr, sondern eine Art Wundheit, wie man sie etwa nach einem Sturz vom Pferd fühlt, bei dem man sich zwar keine Knochen gebrochen, aber sich doch aufgeschürft und blaue Flecken geholt hat. Philip stellte fest, dass er imstande war, den Zustand, in dem er sich in den letzten Wochen befunden hatte, mit Neugier zu ergründen. Er analysierte interessiert seine Gefühle. Er musste unwillkürlich über sich lächeln. Was ihn besonders wunderte, war, wie wenig es unter solchen Umständen bedeutete, was man dachte; das philosophische System, das er sich für seine Person zurechtgelegt hatte, hatte ihm nicht das Geringste geholfen. Wie seltsam das war.
    Manchmal jedoch kam es vor, dass er auf der Straße eine Mädchengestalt erblickte, die Mildred ähnlich war, und das Herz blieb ihm stehen. Dann konnte er sich nicht helfen und rannte aufgeregt hinter ihr her, um schließlich, wenn er sie eingeholt hatte, erkennen zu müssen, dass es eine Fremde war. Die Studenten kehrten vom Lande zurück, und er ging mit Dunsford in eine andere ABC -Teestube. Beim Anblick der wohlbekannten Uniform wurde ihm ganz elend. Der Gedanke durchfuhr ihn, dass Mildred vielleicht in eine andere Filiale versetzt worden war und plötzlich vor ihm stehen könnte. Diese Möglichkeit erfüllte ihn mit solchem Entsetzen, dass es ihn die größte Mühe kostete, sich gegenüber Dunsford seine Verstörtheit nicht anmerken zu lassen. Aber es fiel ihm nichts zu sagen ein, und er musste sich mit aller Gewalt zwingen, Dunsford zuzuhören. Das Gespräch machte ihn wahnsinnig. Am liebsten hätte er Dunsford angeschrien, doch um Gottes willen den Mund zu halten.
    Dann kam sein Prüfungstag heran. Philip trat mit der größten Zuversicht vor den Professor. Er beantwortete drei oder vier Fragen. Dann wurden ihm verschiedene Präparate gezeigt; er hatte sehr wenige Vorlesungen gehört; und sobald er nach Dingen gefragt wurde, die er nicht aus Büchern hatte lernen können, versagte er. Er tat, was er konnte, um sein Unwissen zu verbergen, der Examinator forschte nicht weiter, und bald waren seine zehn Minuten um. Er zweifelte nicht daran, dass er durchgekommen war; als er jedoch am nächsten Tag die angeschlagenen Resultate las, sah er zu seiner Verblüffung, dass sein Name auf der Liste der Kandidaten, die bestanden hatten, fehlte. Erstaunt las er ein zweites und ein drittes Mal. Dunsford hatte ihn begleitet.
    »Es tut mir furchtbar leid, dass du durchgefallen bist«, sagte er.
    Philip drehte sich um und sah an Dunsfords strahlendem Gesicht, dass dieser durchgekommen war.
    »Ach, da kann man nichts machen«, meinte er. »Es freut mich, dass es dir besser gegangen ist. Ich muss es eben im Juli noch einmal versuchen.«
    Er war bemüht, sich möglichst unbekümmert zu zeigen, und sprach auf dem Heimweg an der Themse entlang von unverfänglichen Dingen. Dunsford wollte in seiner Gutmütigkeit die Ursachen von Philips Misserfolg besprechen, aber Philip blieb unverändert gleichgültig. Er war fürchterlich gekränkt; und dass Dunsford, den er als sehr netten, aber gänzlich unintelligenten Burschen ansah, die Prüfung bestanden hatte, ließ ihn den eigenen Rückschlag noch schwerer ertragen. Er war immer stolz auf seine Intelligenz gewesen, und nun fragte er sich verzweifelt, ob er sich etwa falsch eingeschätzt hatte. Während der drei Monate des Wintersemesters hatten die Studenten, die im Oktober begonnen hatten, bereits Gruppen gebildet, und es stand fest, wer außerordentlich begabt, wer klug und fleißig und wer ein Versager war. Philip war sich bewusst, dass sein Misserfolg für niemanden außer ihn selbst eine Überraschung bedeutete. Es war gegen fünf Uhr nachmittags, und er wusste, dass um diese Stunde viele der Studenten im Erfrischungsraum der Medizinischen Fakultät Tee tranken: Diejenigen, die die Prüfung bestanden hatten, würden triumphieren, die, die ihn nicht leiden

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