Der Menschen Hoerigkeit
Sie nur verstehen würden, wie sehr ich in Sie verliebt bin.«
»Sie haben mich noch nicht um Verzeihung gebeten.«
Er wurde sehr bleich. Sie fand also nicht, dass sie an jenem Abend unrecht gehabt hatte. Sie verlangte von ihm, dass er sich vor ihr demütigte. Er war sehr stolz. Einen Augenblick fühlte er sich versucht, sie zum Teufel zu jagen. Aber seine Leidenschaft machte ihn gefügig. Er nahm lieber alles auf sich, als darauf zu verzichten, sie zu sehen.
»Es tut mir leid, Mildred. Verzeihen Sie mir.«
Er musste sich die Worte abringen. Es kostete ihn furchtbare Anstrengung.
»Jetzt, wo Sie sich entschuldigt haben, kann ich Ihnen ja sagen, dass es mir damals sehr leidgetan hat, nicht mit Ihnen ausgegangen zu sein. Ich dachte, Miller wäre ein Gentleman, aber das war ein Irrtum. Ich will nichts mehr von ihm wissen.«
Philip stockte der Atem.
»Mildred, wollen Sie heute Abend mit mir ausgehen? Lassen Sie uns irgendwo zusammen essen.«
»Ach, ich kann nicht. Meine Tante erwartet mich.«
»Ich werde ihr telegrafieren. Sie können doch sagen, dass Sie länger in der Arbeit bleiben müssen. Kommen Sie – bitte –, ich habe Sie so lange nicht mehr gesehen und möchte mit Ihnen sprechen.«
Sie schaute an ihrem Kleid hinunter.
»Das hat doch nichts zu sagen. Wir gehen irgendwohin, wo es nicht wichtig ist, wie man gekleidet ist. Und nachher gehen wir in ein Varieté. Bitte sagen Sie ja. Sie würden mir eine große Freude machen.«
Sie zögerte ein wenig; er blickte sie mit heißen, flehenden Augen an.
»Na schön. Wenn Sie unbedingt wollen. Ich war schon endlos lange nicht mehr aus.«
Nur mit der größten Mühe konnte er sich zurückhalten, vor allen Leuten ihre Hand zu ergreifen und sie mit Küssen zu bedecken.
60
Sie aßen in Soho. Philip war außer sich vor Freude. Es war keines der überfüllten, billigen Restaurants, in denen die respektablen, aber armen Bürger essen, im Glauben, dass es ein künstlerisches Flair habe, und in der Gewissheit, dass es nicht zu teuer ist. Nein, es war ein bescheidenes Restaurant, von einem braven Mann aus Rouen und seiner Frau geführt, das Philip zufällig entdeckt hatte. Ihn hatte die gallische Aufmachung des Auslagefensters angezogen, in dem gewöhnlich ein Teller mit einem rohen Steak, flankiert von zwei Schüsseln mit frischem Gemüse, ausgestellt war. Die Bedienung besorgte ein schäbiger französischer Kellner, der sich bemühte, Englisch zu lernen in einem Hause, in dem ausschließlich Französisch gesprochen wurde; die Stammgäste waren ein paar Damen zweifelhafter Tugend, ein, zwei ménages, die ihre eigenen Servietten mithatten, und ein paar seltsame Männer, die hereingestürzt kamen und eilig ein kärgliches Mahl verzehrten.
Hier bekamen Philip und Mildred einen eigenen Tisch. Philip schickte den Kellner um eine Flasche Burgunder in die benachbarte Weinstube, und sie aßen eine potage aux herbes, ein beefsteak au pommes und eine omelette au kirsch. Die Mahlzeit und das Lokal hatten wirklich etwas Romantisches. Mildred, anfangs ein wenig reserviert – »ich traue diesen ausländischen Lokalen nicht; man weiß nie, was in diesen zusammengepanschten Speisen drin ist« –, erlag allmählich dem Zauber der Umgebung.
»Ich finde es reizend hier, Philip«, sagte sie. »Es hat so etwas Gemütliches, Legeres, nicht?«
Ein hochgewachsener Mann mit einer Mähne grauer Haare und einem zerzausten, dünnen Bart kam herein. Er trug einen fadenscheinigen Mantel und einen verwegenen Hut. Er nickte Philip, den er hier schon einige Male getroffen hatte, zu.
»Der sieht aus wie ein Anarchist«, meinte Mildred.
»Ist er auch. Einer der gefährlichsten von Europa. Es gibt wenige Gefängnisse, in denen er nicht schon gesessen hat, und er hat mehr Leute umgebracht als so mancher Gehenkte. Er trägt immer eine Bombe bei sich, und das macht den Umgang mit ihm ein bisschen schwierig, denn wenn man etwas sagt, das ihm nicht gefällt, legt er sie vielsagend auf den Tisch.«
Sie schaute den Mann voll Entsetzen und Staunen an und blinzelte dann misstrauisch zu Philip hinüber. Seine Augen lachten. Sie legte die Stirn in Falten.
»Sie machen sich lustig über mich.«
Er stieß einen kleinen Freudenschrei aus. Er war so glücklich. Aber Mildred gefiel es nicht, ausgelacht zu werden.
»Ich kann nichts Komisches an solchen Lügen finden.«
»Seien Sie mir doch nicht böse.«
Er nahm ihre Hand und drückte sie zärtlich.
»Sie sind bezaubernd, und ich könnte den Boden
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