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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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küssen, den Ihre Füße berühren«, sagte er.
    Die grünliche Blässe ihrer Haut berauschte ihn, und ihre schmalen weißen Lippen hatten einen unbeschreiblichen Reiz. Ihre Blutarmut machte sie etwas kurzatmig, und sie hielt den Mund stets leicht geöffnet. Das trug zu der Schönheit ihres Gesichtes bei.
    »Sie haben mich doch ein klein wenig gern, nicht wahr?«, fragte er.
    »Sonst wäre ich nicht hier, sollte man annehmen. Sie sind ein Gentleman in jedem Sinn des Wortes. Das muss man Ihnen lassen.«
    Sie hatten ihr Dinner beendet und tranken Kaffee. Philip schickte seine Sparsamkeit zum Teufel und rauchte eine teure Zigarre.
    »Sie können sich nicht vorstellen, wie glücklich es mich macht, Ihnen gegenüberzusitzen und Sie anzusehen. Wie habe ich mich nach Ihnen gesehnt! Ich war krank vor Verlangen nach Ihnen.«
    Mildred lächelte ein wenig und errötete leicht. Diesmal hatte sie keine Verdauungsprobleme, wie sonst so oft nach einer Mahlzeit. Sie fühlte sich stärker zu Philip hingezogen als je zuvor, und die ungewohnte Zärtlichkeit in ihren Augen beglückte ihn. Er wusste instinktiv, dass es Wahnsinn war, sich in ihre Hände zu geben; ihm blieb nur, vorsichtig mit ihr umzugehen und sie nie wissen zu lassen, welche ungezügelte Leidenschaft in seinem Innern tobte. Sie würde sich seine Schwäche zunutze machen. Aber er konnte jetzt nicht vorsichtig sein: Er erzählte ihr, wie er während seiner Trennung von ihr gelitten hatte, erzählte ihr von seinen Kämpfen mit sich selbst, wie er versucht hatte, seine Liebe zu überwinden, sie schon besiegt zu haben meinte, und dass sie in Wahrheit um nichts geringer geworden war. Er sah jetzt ein, dass er seine Liebe niemals wirklich hatte überwinden wollen. Er liebte Mildred so sehr, dass es ihm nichts ausmachte zu leiden. Er entblößte sein Herz vor ihr. Stolz zeigte er ihr seine ganze Schwäche.
    Am liebsten wäre er endlos in dem kleinen Restaurant geblieben, aber er wusste, dass Mildred sich amüsieren wollte. Sie war ruhelos und strebte, wo immer sie war, nach Abwechslung. Er wagte nicht, sie zu langweilen.
    »Wir wollten doch noch ins Varieté gehen«, sagte er.
    Der Gedanke schoss ihm durch den Kopf, dass sie, wenn sie ihn mochte, lieber bleiben wollen würde.
    »Ja, es wird wohl Zeit sein aufzubrechen.«
    »Dann gehen wir.«
    Philip wartete ungeduldig auf das Ende der Vorstellung. Er hatte sich genau zurechtgelegt, was er tun würde, und als sie in eine Droschke stiegen, ließ er seinen Arm wie zufällig um ihre Taille gleiten. Aber mit einem kleinen Aufschrei zog er ihn schnell wieder zurück. Er hatte sich gestochen. Sie lachte.
    »Das kommt davon, wenn Sie Ihren Arm hintun, wo er nichts zu suchen hat«, sagte sie. »Ich kenne die Männer und weiß, was sie im Schilde führen. Diese Nadel habe ich absichtlich hineingesteckt.«
    »In Zukunft werde ich vorsichtiger sein.«
    Er legte abermals den Arm um sie. Sie leistete keinen Widerstand.
    »Wie glücklich bin ich!«, seufzte er selig.
    »Solange es Ihnen gutgeht…«, gab sie zurück.
    Sie fuhren durch die St.   James Street in den Park, und Philip küsste sie rasch. Er war ihr gegenüber merkwürdig furchtsam, und es erforderte seinen ganzen Mut. Sie ließ ihn wortlos und ohne das geringste Zeichen von Einwilligung oder Ablehnung gewähren.
    »Wenn du wüsstest, wie lange ich mich danach gesehnt habe, das zu tun«, flüsterte er.
    Er versuchte, sie noch einmal zu küssen, aber diesmal wandte sie den Kopf ab.
    »Einmal ist genug.«
    Auf die Möglichkeit hoffend, sie noch ein zweites Mal küssen zu dürfen, fuhr er mit ihr nach Herne Hill, und an der Straße, in der sie wohnte, fragte er sie:
    »Willst du mir noch einen Kuss geben?«
    Sie warf ihm einen gleichgültigen Blick zu und schaute dann die Straße hinauf, ob jemand zu sehen war.
    »Von mir aus.«
    Er nahm sie in seine Arme und küsste sie leidenschaftlich; aber sie stieß ihn von sich fort.
    »Pass doch auf meinen Hut auf, du ungeschickter Mensch«, sagte sie.
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    Von nun an sah er sie täglich. Er fing an, auch sein Mittagessen in der Teestube einzunehmen, aber Mildred verbot es ihm. Die Mädchen sollten keinen Anlass zum Klatsch haben; so musste er sich mit dem Nachmittag begnügen; aber er wartete täglich auf sie, um sie zum Bahnhof zu begleiten, und ein- bis zweimal in der Woche gingen sie abends miteinander essen. Er machte ihr kleine Geschenke, goldene Anhängsel, Taschentücher, Handschuhe und dergleichen. Er gab mehr aus, als er sich

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