Der Menschen Hoerigkeit
ihrem ordinären Geschmack: Er wusste, dass sie sofort abschätzen würde, wie viel es kostete; es bereitete ihm eine etwas melancholische Genugtuung, ihr etwas zu schenken, was ihr Vergnügen bereitete und gleichzeitig der heimliche Ausdruck seiner Verachtung für sie war.
Philip hatte dem Tag, an dem Mildred heiraten sollte, mit Furcht entgegengesehen. Wie qualvoll würde es für ihn sein! Umso erleichterter war er, als er am Samstagmorgen einen Brief von Hayward erhielt, in dem dieser ihm mitteilte, dass er heute früh nach London komme und sich mit Philip auf Zimmersuche machen wolle. Philip sah auf der Suche nach Ablenkung im Fahrplan nach und stellte fest, dass Hayward nur mit einem bestimmten Zug eintreffen konnte; er ging also zum Bahnhof, um ihn abzuholen. Die beiden Freunde feierten ein überschwengliches Wiedersehen. Sie ließen das Gepäck am Bahnhof und liefen fröhlich los. Natürlich schlug Hayward vor, zuerst einmal auf eine Stunde in die National Gallery zu gehen; er sagte, er habe seit längerem keine Bilder mehr betrachtet und dass nur schon ein flüchtiger Blick ihm genüge, um wieder mit dem Leben in Einklang zu kommen. Seit Monaten hatte Philip mit niemandem über Kunst und Bücher sprechen können. Während Philips Pariser Zeit hatte sich Hayward in die modernen französischen Dichter vertieft; in Frankreich gab es eine solche Fülle an Dichtern, dass er Philip von etlichen neuen Genies zu berichten hatte. Sie wandelten durch die Galerie und zeigten sich gegenseitig ihre Lieblingsbilder. Sie unterhielten sich lebhaft, ein Thema führte zum andern. Die Sonne schien, und die Luft war mild.
»Komm, wir setzen uns jetzt in den Park«, sagte Hayward. »Wir können nach dem Essen auf Zimmersuche gehen.«
Der Frühling war wunderbar dort, ein Tag, an dem man das Leben schön finden musste. Das junge Grün der Bäume hob sich herrlich vom Himmel ab, und der blassblaue Himmel war mit weißen Wolken gesprenkelt. Hinter den Ziergewässern erhob sich die graue Masse des Marstalls. Die Szenerie wirkte in ihrer sorgfältig geordneten Eleganz reizvoll wie ein Bild aus dem achtzehnten Jahrhundert. Sie erinnerte nicht an Watteau, dessen Landschaften so idyllisch sind, dass sie nur die bewaldeten Hänge, wie man sie aus Träumen kennt, ins Gedächtnis zurückrufen, sondern an den prosaischeren Jean-Baptiste Pater. Philip wurde das Herz leicht. Jetzt verstand er, was er zuvor nur gelesen hatte: dass Kunst – und die Art, wie er die Natur betrachtete, hatte etwas von Kunst – die Kraft besaß, die Seele von Schmerz zu befreien.
Sie gingen zum Lunch in ein italienisches Restaurant und bestellten eine Flasche Chianti. Beim Essen ließen sie sich Zeit und setzten ihre Gespräche fort. Sie brachten sich gegenseitig Leute in Erinnerung, die sie in Heidelberg gekannt hatten, sprachen über Philips Freunde in Paris, unterhielten sich über Bücher, Bilder, über die Moral und das Leben; plötzlich hörte Philip eine Uhr drei schlagen. Nun war Mildred also bereits verheiratet. Es fuhr ihm wie ein Stich durchs Herz, eine oder zwei Minuten lang hörte er nicht mehr, was Hayward sagte. Aber er füllte sein Glas mit Chianti. Er war an Alkohol nicht gewöhnt, und nun stieg er ihm zu Kopf. An diesem Tag jedenfalls vergaß er seinen Kummer. Sein lebhafter Geist hatte so viele Monate lang brachgelegen, dass er von den Gesprächen nun wie berauscht war. Er war dankbar, jemanden zu haben, mit dem er sich über gemeinsame Interessen unterhalten konnte.
»Ich glaube, wir sollten diesen schönen Tag nicht mit der Zimmersuche vertrödeln. Ich werde dich am Abend bei mir aufnehmen. Du kannst morgen oder am Montag nach einem Zimmer suchen.«
»Ist gut. Was werden wir unternehmen?«, antwortete Hayward.
»Wir wollen mit einem kleinen Dampfer nach Greenwich fahren.«
Hayward war damit einverstanden, und sie nahmen einen Wagen, der sie zur Westminsterbrücke brachte. Sie sprangen auf das Dampfschiff, kurz bevor es abfuhr. Bald darauf sagte Philip mit einem Lächeln auf den Lippen:
»Ich erinnere mich, als ich das erste Mal nach Paris kam, da hielt, ich glaube, es war Clutton, eine lange Rede darüber, dass die Dinge ihre Schönheit durch Maler und Dichter erhalten. Sie erschaffen die Schönheit. In den Dingen selbst liegt nichts, was die Wahl zwischen dem Campanile von Giotto und einem Fabrikschornstein rechtfertigen würde. Und schöne Dinge werden angefüllt mit den Gefühlen, die sie in nachfolgenden Generationen wecken. Darum
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