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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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lassen; Mildred sagte, sie habe sie immer nachts allein gelassen, wenn sie wegging, sie sei nie aufgewacht. Sie war bester Dinge, als sie mit dem Hut auf dem Kopf zurückkam. Sie hatte bei der Gelegenheit ein wenig Rouge aufgelegt. Philip meinte, die Erregung hätte ihre blassen Wangen leicht gefärbt. Ihr kindliches Vergnügen rührte ihn, und er machte sich Vorwürfe wegen seiner strengen Haltung ihr gegenüber. Sie lachte, als sie ins Freie traten. Der erste Bus, den sie sahen, fuhr zur Westminster Bridge, und sie stiegen ein. Philip rauchte seine Pfeife, und sie sahen auf die bevölkerte Straße hinunter. Die Geschäfte waren offen, fröhlich beleuchtet, und die Leute kauften für den nächsten Tag ein. Sie kamen an einem Varieté namens Canterbury vorbei, und Mildred rief aus:
    »O Philip, lass uns hier hineingehen. Ich bin seit Monaten in keinem Varieté gewesen.«
    »Wir können uns keine Logenplätze leisten, das weißt du.«
    »Ach, das macht nichts. Ich bin genauso glücklich auf dem Rang.«
    Sie stiegen aus und gingen ein paar hundert Meter zurück zum Eingang, aber sie bekamen wunderbare Sitze für einen halben Shilling pro Person, weiter oben, aber nicht auf dem Rang, und die Nacht war so schön, dass sie genügend Platz für sich hatten. Mildreds Augen strahlten, sie amüsierte sich königlich. Sie hatte eine Einfältigkeit des Geistes an sich, die Philip rührte. Sie war ihm ein Rätsel. Gewisse Dinge an ihr gefielen ihm noch, und er dachte, es wäre doch viel Gutes an ihr: Sie hatte eine schlechte Erziehung gehabt, und ihr Leben war hart gewesen. Er hatte ihr innerlich für vieles die Schuld gegeben, wofür sie nichts konnte. Und es war sein eigener Fehler, wenn er von ihr Tugenden verlangt hatte, die sie schlicht nicht besaß. Unter anderen Umständen hätte sie vielleicht ein reizendes Mädchen sein können. Sie besaß keinerlei Eignung für den Lebenskampf. Als er sie so im Profil, mit leicht geöffnetem Mund und zartrot überhauchten Wangen ansah, schien sie ihm seltsam jungfräulich. Er fühlte ein überwältigendes Erbarmen für sie, und so vergab er ihr von ganzem Herzen das viele Elend, dass er ihretwegen gelitten hatte. Philips Augen brannten in der raucherfüllten Luft; aber als er vorschlug, dass sie gehen sollten, sah sie ihn mit einem so flehenden Blick an und bat, doch bis zum Ende zu bleiben, dass er nicht widerstehen konnte und lächelnd einwilligte. Sie nahm seine Hand und hielt sie bis zum Ende der Vorstellung. Als sie mit dem Publikum in die belebten Straßen hinausströmten, hatte sie keine Lust, nach Hause zu gehen; sie wanderten die Westminster Bridge Road entlang und beobachteten die Menge.
    »So viel Spaß habe ich seit Monaten nicht mehr gehabt«, sagte sie.
    Philips Herz war ganz erfüllt, und er war dem Schicksal dankbar, das ihm die plötzliche Eingebung geschenkt hatte, Mildred und die Kleine in seiner Wohnung aufzunehmen. Es tat ihm gut, ihre glückliche Dankbarkeit zu sehen. Endlich wurde sie doch müde, und sie sprangen auf eine Elektrische, um nach Hause zu fahren. Es war spät geworden, und als sie ausstiegen und in ihre Straße einbogen, war alles menschenleer. Sie hängte sich bei ihm ein.
    »Es ist wie in alten Zeiten, Phil«, sagte sie.
    Sie hatte ihn nie vorher Phil genannt; so hatte Griffith ihn genannt, und selbst jetzt versetzte es ihm einen seltsamen Stich. Er dachte daran, dass er damals ernstlich hatte sterben wollen. So lange schien das alles her. Er lächelte über sein eigenes vergangenes Selbst. Jetzt empfand er nichts mehr für Mildred als unendliches Mitleid. Sie erreichten das Haus, und Philip zündete, als sie in das Wohnzimmer kamen, die Gaslampe an.
    »Ist mit dem Kind alles in Ordnung?«, fragte er.
    »Ich gehe eben mal nachsehen.«
    Als sie zurückkam, berichtete sie, dass es sich, seit sie weggegangen waren, überhaupt nicht gerührt habe. Es war ein prachtvolles Kind. Philip reichte ihr die Hand.
    »Dann also: Gute Nacht.«
    »Willst du denn wirklich schon schlafen gehen?«
    »Es ist beinahe eins. Ich bin nicht mehr an spätes Schlafengehen gewöhnt«, sagte Philip.
    Sie nahm seine Hand und sah ihm mit einem leichten Lächeln in die Augen, während sie sie festhielt.
    »Phil, damals, in dem Zimmer, als du mir sagtest, ich sollte herkommen und bei dir wohnen, habe ich nicht das gemeint, was du dachtest, als du gesagt hast, du wolltest nichts weiter von mir, als dass ich für dich koche und so.«
    »So?«, antwortete Philip und zog seine Hand

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