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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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gab ihm eine merkwürdige Plumpheit. Seine Züge waren breit und flach, und er hatte hervorstehende blasse Augen und spärliches rotes Haar; er trug einen Bart, der sein Gesicht ungleichmäßig bedeckte; wo man dichten Haarwuchs erwartet hätte, war überraschenderweise gar nichts. Seine Haut war teigig und gelb. Er streckte Philip die Hand hin, und als er lächelte, wurden sehr schadhafte Zähne sichtbar. Er sprach mit herablassender und zugleich schüchterner Miene, so dass man den Eindruck hatte, er wollte sich eine Wichtigkeit verleihen, von der er selbst nicht überzeugt war. Er gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass Philip an seiner Beschäftigung Gefallen finde; es war eine Menge harter Arbeit zu bewältigen, aber wenn man sich einmal eingearbeitet hatte, war es interessant, und man verdiente Geld, und das war doch die Hauptsache, nicht? Er lachte mit einem merkwürdigen Gemisch von Überlegenheit und Schüchternheit.
    »Mr.   Carter wird gleich hier sein«, sagte er. »Montag kommt er immer ein wenig später. Ich werde Sie rufen, wenn er da ist. Inzwischen muss ich Ihnen etwas zu tun geben. Haben Sie eine Ahnung von Buchhaltung und kaufmännischem Rechnen?«
    »Nein, leider nicht«, entgegnete Philip.
    »Das habe ich auch nicht erwartet. Ich fürchte, in der Schule lernt man kaum etwas, das man im Geschäftsleben brauchen kann.« Einen Augenblick lang dachte er nach. »Ich glaube, ich habe Arbeit für Sie.«
    Er ging ins Nebenzimmer und kam bald darauf mit einer großen Pappschachtel wieder. Darin befanden sich sehr viele durcheinandergeworfene Briefe, und er trug Philip auf, sie zu sortieren und alphabetisch nach dem Namen der Absender zu ordnen.
    »Kommen Sie mit in das Zimmer, das für unsere Lehrlinge bestimmt ist. Sie werden dort einen sehr netten jungen Mann namens Watson antreffen. Er ist der Sohn von Watson, Crag and Thompson – die große Bierbrauerei. Sie wissen schon. Er arbeitet ein Jahr lang bei uns, um das Geschäft zu lernen.«
    Mr.   Goodworthy führte Philip durch das schäbige Büro, in dem nun sechs der sieben Angestellten arbeiteten, in ein schmales Zimmer dahinter. Es war durch eine Glaswand abgetrennt, und hier saß nun Watson zurückgelehnt in seinem Stuhl und las den Sportsman. Er war ein großer, korpulenter junger Mann, sehr elegant gekleidet, und schaute auf, als Mr. Goodworthy eintrat. Er unterstrich seine gesellschaftliche Stellung, indem er den Geschäftsführer mit Goodworthy ansprach. Der Geschäftsführer missbilligte diese Vertraulichkeit und antwortete ostentativ mit Mr.   Watson, aber Watson merkte nicht, dass das als Zurechtweisung gemeint war, sondern fasste es als Tribut auf, der seinem Rang als Gentleman gezollt wurde.
    »Ich sehe eben, dass Rigoletto ausscheidet«, sagte er zu Philip, sobald er mit ihm allein war.
    »Ach?«, entgegnete Philip, der keine Ahnung von Pferderennen hatte.
    Er blickte mit Ehrfurcht auf Watsons schöne Kleidung. Sein Gehrock saß tadellos, und inmitten seiner riesigen Krawatte stak kunstvoll eine kostbare Nadel. Auf dem Kaminsims ruhte sein Zylinder; er war schick, glockenförmig und glänzend. Philip fühlte sich sehr armselig. Watson fing an, von der Jagd zu sprechen: Es war unglaublich langweilig, seine Zeit in einem staubigen Büro absitzen zu müssen; nun würde er nur an Samstagen hinausfahren können: Er hatte so wunderbare Jagdeinladungen überallhin, die er natürlich absagen musste. Ein furchtbares Pech war das – aber lange wollte er es sich nicht gefallen lassen; ein Jahr blieb er hier in diesem scheußlichen Loch, nicht länger, dann trat er ins väterliche Geschäft ein und konnte vier Tage die Woche jagen und alles schießen, was ihm vor die Flinte kam.
    »Sie haben fünf Jahre vor sich, nicht?«, fragte er, indem er mit dem Arm eine schwungvolle Geste durch das kleine Zimmer beschrieb.
    »Ich glaube«, antwortete Philip.
    »Dann werde ich ja reichlich Gelegenheit haben, Ihre Gesellschaft zu genießen. Carter führt nämlich unsere Buchhaltung.«
    Philip war überwältigt von der herablassenden Art des jungen Mannes. In Blackstable hatte man mit gelinder Verachtung auf das Gewerbe der Bierbrauer hinabgeblickt, und der Vikar hatte ab und zu eine scherzhafte Bemerkung darüber fallenlassen. Daher überraschte es Philip zu sehen, was für eine wichtige und großartige Persönlichkeit dieser Watson war. Er war in Winchester und Oxford gewesen und versäumte nicht, einem diese Tatsache möglichst häufig in Erinnerung zu rufen. Als

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