Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
Vom Netzwerk:
Gelegenheit, ihn zu demütigen; seine Angriffe waren plump und dumm, aber sie verletzten Philip, und zur Selbstverteidigung nahm er eine überlegene Haltung an, die ihm in Wirklichkeit fernlag.
    »Ein Bad genommen heute früh?«, rief ihm Thompson entgegen, wenn er zu spät im Büro erschien, denn seine anfängliche Pünktlichkeit hatte nicht angehalten.
    »Ja, Sie nicht?«
    »Nein. Ich bin kein Gentleman; ich bade nur einmal in der Woche, am Samstagabend.«
    »Nun weiß ich, warum Sie montags noch unausstehlicher sind als sonst.«
    »Wollen Sie die große Freundlichkeit haben, mir ein paar Posten zusammenzuzählen? Ich weiß, es ist viel verlangt von einem Gentleman, der Latein und Griechisch beherrscht.«
    »Ihre Bemühungen, sarkastisch zu sein, wollen nicht ganz glücken.«
    Aber Philip konnte sich nicht verhehlen, dass die anderen schlecht bezahlten und ungebildeten Angestellten viel nützlicher waren als er selbst. Ein paarmal wurde Mr.   Goodworthy ungeduldig mit ihm.
    »Ich hätte wahrhaftig mehr von Ihnen erwartet«, sagte er. »Sie können ja weniger als unser Laufbursche.«
    Philip hörte mürrisch zu. Er hatte es nicht gern, wenn er getadelt wurde, und er empfand es als demütigend, wenn Mr.   Goodworthy mit seinen Reinschriften unzufrieden war und sie von anderen Angestellten anfertigen ließ. Anfangs war ihm die Arbeit erträglich gewesen, weil alles neu war – nun aber wurde sie ihm zur Last, und als er merkte, dass er keine Begabung dafür hatte, fing er an, sie zu hassen. Oft vertrödelte er seine Zeit, indem er kleine Bildchen auf das Schreibpapier kritzelte, das vor ihm lag. Er zeichnete Watson in jeder erdenklichen Stellung, und Watson war von seinem Talent begeistert. Er nahm die Skizzen mit nach Hause und kam am nächsten Tag mit dem bewundernden Lob seiner Familie zurück.
    »Ich verstehe eigentlich nicht, warum Sie nicht Maler geworden sind«, sagte er. »Es ist natürlich kein Geld damit zu verdienen.«
    Zufällig ergab es sich, dass Mr.   Carter ein paar Tage später bei den Watsons eingeladen war und dass ihm die Skizzen gezeigt wurden. Am nächsten Morgen ließ er Philip zu sich rufen. Philip bekam ihn nur selten zu Gesicht und trat ihm mit einem gewissen Respekt gegenüber.
    »Hören Sie mal zu, junger Mann: Es geht mich nichts an, was Sie außerhalb Ihrer Dienststunden tun, aber ich habe Skizzen gesehen, die Sie gemacht haben, und die sind auf Büropapier gezeichnet; und Mr.   Goodworthy sagt mir, dass Sie keinen rechten Eifer an den Tag legen. Sie werden nichts erreichen in unserem Beruf, wenn Sie sich nicht zusammennehmen. Es ist ein schöner Beruf, und er wird von erstklassigen Männern ausgeübt, aber es ist ein Beruf, in dem man…«, er suchte nach einem passendem Ausdruck, konnte aber keinen finden und beendete den Satz ziemlich geistlos: »sich zusammennehmen muss.«
    Vielleicht hätte sich Philip in seine Lage hineingefunden, wenn ihm in seinem Vertrag nicht zugesichert worden wäre, dass er nach einem Jahr austreten und die Hälfte seines Lehrgeldes zurückbekommen könnte, falls ihm die Arbeit nicht zusagte. Er hatte das Gefühl, für etwas Besseres geschaffen zu sein als für das Addieren von Zahlen, und besonders beschämend empfand er, dass er das, was ihm so verachtenswert erschien, so schlecht konnte. Die ordinären Gespräche mit Thompson gingen ihm auf die Nerven. Im März beendete Watson sein Lehrjahr, und obzwar Philip ihn nicht gerade gernhatte, sah er ihn doch mit Bedauern ziehen. Die Tatsache, dass sie beide von den übrigen Angestellten schräg angesehen wurden, weil sie einer etwas höheren Gesellschaftsklasse angehörten, hatte ein gewisses Band zwischen ihnen geschaffen. Wenn Philip daran dachte, dass er noch über vier Jahre in dieser trostlosen Gesellschaft zubringen sollte, sank ihm der Mut. Er hatte wunderbare Dinge von London erwartet, und es hatte ihm nichts gegeben. Jetzt hasste er die Stadt. Er kannte keine Menschenseele und wusste nicht, auf welche Weise man es anstellte, jemanden kennenzulernen. Er war es müde, immer allein zu sein. Allmählich glaubte er, er könne dieses Leben nicht länger ertragen. Wenn er nachts in seinem Bett lag, dachte er daran, wie schön es wäre, wenn er niemals mehr das dunkle Büro und die Angestellten dort sehen müsste und aus dieser düsteren Wohnung ausziehen könnte.
    Im Frühjahr erlebte er eine große Enttäuschung. Hayward hatte die Absicht geäußert, während dieser Jahreszeit nach London zu kommen, und

Weitere Kostenlose Bücher