Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
Vor allem mit einer Privatklinik hatte er Schwierigkeiten gehabt. Es ging um Totenscheine, die er als Amtsarzt ausstellen sollte, für deren Todesursachen er aber nicht bürgen wollte. Es gelang ihm nicht, der Sache auf den Grund zu gehen, und das quälte ihn sehr.«
Dicte überlegte sorgfältig, bevor sie die nächste Frage stellte.
»Wissen Sie, ob er eine Theorie hatte, wo das Problem liegen könnte?«
Erneut folgte eine deutliche Pause, und die Nervosität übertrug sich durch die Leitung bis nach Dänemark.
»Er war der Ansicht, dass die Toten einer unautorisierten Handlung unterzogen worden waren, und diese hatte wiederum in jener Zeit eine Reihe von Todesfällen zur Folge.«
»Und woran starben die anderen? Was für Operationen wurden an ihnen ausgeführt?«
|269| Petra Jakobowska beantwortete zuerst die zweite Frage und auch das erst nach einigem Zögern.
»Es handelte sich um die verschiedensten Operationen. Mal was am Knie oder im Kiefer oder so etwas. Operationen, die eigentlich unkompliziert waren. Der Einsatz eines neuen Knorpels, die Rekonstruktion eines Kiefers, Hauttransplantationen, so in die Richtung.«
Dicte machte sich Notizen und ließ parallel das Aufnahmegerät mitlaufen. Sie las die Worte, die sie soeben aufgeschrieben hatte, und verstand immer weniger.
»Und die Todesursachen auf den Totenscheinen?«, wiederholte sie ihre erste Frage.
»Alles, von schwerer Infektion bis Ausbruch einer AIDS-Erkrankung.«
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Kapitel 39
»Und sie ist seine Mutter?«
Verblüfft sah Janos Kempinski die Stationsschwester Inger Hørup an, die wohl die Erfahrenste von allen auf der Transplantationsstation war und darum auch die meisten Informationsgespräche mit potentiellen Nierenspendern führte. Sie nickte.
»Zumindest sagt er das. Sie kommt heute um vierzehn Uhr. Ich habe sie gestern angerufen. Aber sie klang nicht wirklich überzeugt, darum will ich mich noch einmal sorgfältiger nach ihrem Entschluss erkundigen. Wenn sie denn einen gefasst hat.«
»Glauben Sie nicht?«
Inger Hørup schüttelte den Kopf. Sie saßen in ihrem Stationszimmer, von dem aus sie die Geschicke der Abteilung leitete. Wenn überraschend ein Totspender zur Verfügung stand, war sie diejenige, die alle an einer Organentnahme Beteiligten koordinierte. Alle hatten Respekt vor ihr, sogar die flapsigen Herzchirurgen.
»Ich befürchte, dieser Boutrup hat irgendwas vor, aber ich |270| kann nicht genau sagen, was es ist. Ob er sie vielleicht zu etwas drängt, wozu sie noch überhaupt nicht bereit ist. Sie ist ganz offensichtlich nie eine Mutter für ihn gewesen.«
Kempinski nickte.
»Er sagt, er sei adoptiert worden. Das könnte bedeuten, dass er sie nur ausfindig gemacht hat, um ihre Niere zu bekommen.«
Sie ließen diesen Verdacht in der Luft hängen, spürten aber beide das Unbehagen, das wie schwerer Rauch im Raum hing.
»Aber wenn sie zustimmt, bleibt uns nichts anderes übrig, als es zu akzeptieren«, sagte die Stationsschwester. »Wenn sie überhaupt geeignet ist.«
Kempinksi saß eine Weile still da und dachte nach, während seine Beklommenheit zunahm. Boutrup war ein faszinierender Mensch, und er fühlte sich stark von seiner Persönlichkeit angezogen. Aber in dieser Angelegenheit vertraute er ihm nicht.
»Wie können wir sicher sein, dass es nicht um Geld geht?«
»Das können wir nicht. Aber das glaube ich auch nicht. Ich glaube, hier handelt es sich eher um ein psychologisches Spiel.«
»Meinen Sie, er spielt mit ihren Schuldgefühlen? Weil sie ihn zur Adoption freigegeben hat?«
Inger Hørup zuckte mit den Schultern. Sie ist eine gutaussehende Frau, dachte Kempinski. Vieles an ihr war groß und kräftig, aber sie war auch sehr feminin auf eine Art und Weise, die Geborgenheit ausstrahlte. Wenn ein Spender sich wohl fühlen musste, um sich und den anderen seine Zweifel einzugestehen, dann war sie die richtige Person, der man sich uneingeschränkt anvertrauen konnte.
»Das würde dann auch nicht zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit geschehen«, sagte sie nüchtern. »Kinder – auch erwachsene Kinder – besitzen eine geradezu teuflische Macht über ihre Eltern, wenn die nur den Hauch eines Schuldgefühls in sich tragen.«
»Schuldgefühl?«
Damit kannte er sich nicht aus, das musste er unumwunden zugeben. Es gab Momente, in denen er als Mann ohne Familie |271| außen vor stand, und dieser war einer davon. Vielleicht war es Zeit, das zu verändern.
Er stand auf.
»Aber Sie bieten ihr
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