Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
in diesem Augenblick war das undenkbar. Sie strahlte wie immer etwas aus, was ihn zu gleichen Teilen anzog und abstieß. Darum begnügte er sich damit, zurückhaltend zu nicken.
»Ich werde ihn den Jungs oben im Vierten geben. Möchtest du mir sonst noch etwas erzählen?«
Es war wie ein stummer Zweikampf, wer als Erstes die Augen niederschlagen würde. Am Ende fand er die Aussicht aus dem Fenster interessanter und stand auf.
»Ich habe gehört, ihr fahndet nach Arne Bay. Dann habt ihr also doch was gegen ihn gefunden?«, sagte sie.
»Vielleicht.«
Er sagte das, zu den Autos unten auf dem Parkplatz gewandt. »Okay, also gut.«
Sie holte tief und hörbar Luft.
»Ich weiß nicht, was ihr gegen ihn in der Hand habt. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Bay nur oberflächlich in die Mette-Mortensen-Sache verwickelt ist. Es geht hier um was ganz anderes. Ein großes Geschäft. Ein Tauschhandel – offensichtlich auch über die Landesgrenzen hinaus – mit einer Ware, die mit Menschen zu tun hat, vielleicht auch eine Art Trafficking. Die Neonazis fungieren wahrscheinlich nur als Handlanger, und es stecken andere Drahtzieher dahinter. Adrette Menschen mit ordentlichen Berufen und sauberen Westen. Zumindest ganz oben an der Spitze.«
|297| Er drehte sich zu ihr um. Sie konnte einem wahnsinnig auf die Nerven gehen, aber dieses Mal könnte sie durchaus recht haben.
»Wo hast du das her?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Du würdest es mir nicht glauben, wenn ich es dir sagen würde. Lass es mich so formulieren: Ich habe eine vertrauenswürdige Quelle. Erinnerst du dich an Lublin? Habt ihr schon mehr über diesen Fall in Erfahrung gebracht?«
Das hatten sie leider nicht. Die polnischen Kollegen waren zwar äußerst hilfsbereit gewesen, aber die erneuten Nachforschungen vor Ort hatten nicht mehr ergeben als die Schlussfolgerung, die auch die Polizei in Århus bereits gezogen hatte.
»Sie gehen ebenfalls davon aus, dass rechtsextreme Kräfte mit im Spiel sind. Der Antisemitismus ist in Polen ziemlich weit verbreitet.«
»Das hat damit nichts zu tun, da bin ich mir ziemlich sicher.«
Dann erzählte sie ihm in kurzen Worten von ihrem Gespräch mit der Witwe des Toten und den mysteriösen Todesfällen in der Privatklinik. Für Wagner klang das wie ein Phantasiegebilde und schien ihm nicht wirklich von Bedeutung zu sein für ihre Ermittlungen. Doch da wühlte Dicte in ihrer Tasche, und es kam eine kleine Tüte mit zwei Klumpen zum Vorschein.
»Glasaugen«, sagte Dicte. »Ich habe diesen Hinweis von einem betroffenen Paar bekommen. Der Vater der Frau wurde feuerbestattet, und als sie die Asche verstreuen wollten, fielen die hier ins Rosenbeet.«
Sie fixierte ihn mit ihrem Blick.
»Glaubst du immer noch, es ist ein Zufall, dass auch in Mette Mortensens Fall ein Glasauge eine Rolle spielt? Auf dem Weg vom Krankenhaus zum Krematorium geschieht irgendetwas Merkwürdiges. Und ich glaube, es hat was mit den Toten zu tun.«
Sie legte erneut die Hand auf die Klarsichthülle.
»Deshalb auch diese Drohung. In unserer Serie haben wir uns damit beschäftigt, was mit uns nach dem Tod passiert, im wortwörtlichen |298| und im übertragenen Sinne. Also, ob wir in den Himmel kommen oder in die Hölle«, fügte sie hinzu. Und es hätte wie ein Lächeln ausgesehen, wäre sie nicht so wütend gewesen.
Er betrachtete die Klumpen von allen Seiten. Es hätte alles sein können, aber er glaubte ihr. So wie er sie einschätzte, hatte sie sich das von einem Sachverständigen bestätigen lassen.
»Darf ich die auch an die Jungs im Vierten weiterreichen?«
»Be my guest.«
Sie stand auf.
»Ich muss los.«
Er wusste, dass es unnötig war, sie zu fragen, ob sie Personenschutz wünschte. Er hätte allerdings auch nicht gewusst, wer das hätte übernehmen sollen, denn in einer Sache hatte sie absolut recht, sie standen ungeheuerlich unter Druck. Mehr als gesund war.
»Pass auf dich auf«, rief er ihr noch hinterher, bevor sie die Tür hinter sich zuzog.
Als sie gegangen war, sah er auf die Uhr. Er würde es gerade noch schaffen, kurz in die Kantine zu gehen, ehe er zusammen mit Ivar K dem Chef der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft einen erneuten Besuch abstatten wollte. Er forderte das Schicksal heraus und holte sich eine Zimtschnecke und redete sich ein, das wäre ein Experiment. Wenn Gormsen recht hatte mit seiner Theorie über den Speiseröhrenkatarrh und Zimt auch einer der Auslöser sein konnte, müsste er das schließlich mit
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