Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
sich.
»Setz dich erst mal. Willst du was trinken? Kaffee? Ach nein, nicht mit hohem Blutdruck. Grünen Tee?«
Sie sah ihn streng an.
»Nimmst du mich auf den Arm?«
Er war noch nie so weit davon entfernt gewesen wie in diesem Augenblick.
»Ab jetzt ist aber Schluss mit dem Rotwein. Du musst besser auf dich achtgeben. Das werden sie dir auch noch sagen.«
»Seit wann bist du mein Leib- und Magenarzt?«, fragte sie mürrisch.
Er beugte sich vor, küsste sie und lächelte ihr aufmunternd zu.
|375| »Seit jetzt. Es ist zwar besorgniserregend mit dem Blutdruck, aber ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, dass du nicht spenden kannst. Du bist so verrückt, dass du es tatsächlich getan hättest.«
»Was ist daran verrückt, ein Leben retten zu wollen?«
Er schüttelte den Kopf.
»Gar nichts. Aber nicht so. Nicht als Erpressung, Dicte. Das ist demütigend und entwürdigend. Siehst du das nicht selbst ein?«
Sie schloss die Augen.
»Aber wie soll er es sonst überleben?«
Bo sprach es zwar nicht aus, aber seine Augen verrieten es. Dass er nämlich keinen Grund anführen konnte, dass Peter Boutrup überhaupt weiterleben sollte.
»Und was jetzt?«, fragte Bo.
Sie sah ihn an. Sie hatte ein großes Bedürfnis nach seiner Umarmung und seinen Küssen, aber es gab noch so viel zu erledigen. Und sie war gezwungen, ihre Taktik zu überdenken. Mit Boutrup würde sie später sprechen müssen.
»Vielleicht einen Happen essen?«, schlug sie vor.
Er sprang auf. »Ich hole was. Ein bisschen Salat und so was, ja? Und Wasser, in Ordnung?« Er beugte sich über sie und küsste ihren Nacken. »Vielleicht sollten wir beide mit dem Joggen anfangen?«
»Joggen? Sag mal, steht auf meiner Stirn Idiot, oder was? Oder im Nacken vielleicht?«
Sie schubste ihn von sich.
»Ich will Kaffee und eine dicke Zimtschnecke mit extra viel Guss, danke sehr. Und ein Glas Rotwein.«
Er kam mit Lauchtorte und grünem Tee zurück.
Sie hatte sich die Zeitung genommen und das Foto der vermissten Kiki Laursen angesehen. Sie konnte sich gut an den Tag erinnern, als sie die grünen High Heels getragen hatte. Sie hatte so verletzlich gewirkt, und die Kombination von Arne Bay und ihr war für sie unbegreiflich gewesen. Eine Mulattin und ein berüchtigter |376| Neonazi. Und dennoch hatte sie sehen können, dass die beiden etwas Besonderes verband. Man konnte es in ihren Bewegungen sehen, in der Art, wie nah sie beieinandergestanden hatten. Hatte sich Kiki in das Verabscheuenswürdige, Unliebenswürdige verliebt? Hatte sie sich auf den Weg gemacht, um ihn zu finden und zu retten?
Sie starrte auf das Foto. Kiki Laursen hatte etwas Rätselhaftes im Blick, herausfordernd und geheimnisvoll. Was war sie für eine Frau? Und wo war sie jetzt?
»Was meinst du, lebt sie noch?«
Bo schaute ihr über die Schulter.
»Sie sieht aus wie jemand, der Hilfe braucht«, sagte er. »Ja, wenn es dir hilft: Ich glaube, sie lebt noch.«
»Und warum?«
Bo warf einen zweiten Blick auf das Foto. Dann sah er Dicte an.
»Sie sieht aus wie eine Frau, in die sich Männer verlieben«, erläuterte er. »Und man schlägt seine Geliebte nicht tot.«
Er schenkte ihr ein schiefes Lächeln.
»Nicht, wenn es sich vermeiden lässt.«
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Kapitel 58
Das Leben war eigentlich so einfach. Es bestand hauptsächlich aus der Frage nach richtig und verkehrt.
Ein Problem trat nur dann auf, wenn man auf seinem Weg zu dem so eindeutig Richtigen gezwungen war, einen Umweg über das Verkehrte zu nehmen.
Janos Kempinski hatte am Fenster gestanden und auf den Vejle Fjord und seine Segler hinuntergesehen. Er warf einen Blick auf seine Uhr. Lena war schon ziemlich lange dort drinnen, fand er. Hoffentlich war alles gut gelaufen.
|377| Er versuchte nicht daran zu denken, was alles schiefgehen konnte, aber das Gefühl, dass ihn durch Lenas Unglück die gerechte Strafe ereilen könnte, ließ sich nicht so einfach beiseiteschieben. Was wusste er denn schon über diesen Eingriff, dem sie nun ausgesetzt war, ohne dass er ihr eine Wahl gelassen hätte? Wie verantwortlich war sein Verhalten, sie zu dieser Operation geradewegs zu zwingen, bei der das Grundmaterial – wenn man ganz ehrlich war – nicht über die autorisierten Wege in ihre Hände gelangt war?
Er drückte seine Stirn gegen das kühle Glas und blendete die Geräusche aus dem Wartezimmer aus. Es zog Regen auf, und er erwischte sich bei dem Gedanken, dass er keine Lust hatte, seine Ferien auf einem Segelboot im dänischen
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