Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
vierzehn wurde.
Wagners Blick scannte den Raum, bewacht von Ulrik Storck, der in der Tür stand. Aus dem Wohnzimmer hörte er das Klappern von Geschirr und wusste, dass Hansen beim Abdecken half und versuchte, mit der Mutter ins Gespräch zu kommen. Das Zimmer war hell und freundlich und in Weiß und Rosa gehalten. An den Wänden hingen Plakate von Popsternchen. Die |61| Bettdecke war strahlend weiß und das Bett ordentlich gemacht. Auf dem Kopfkissen thronte ein rosa Teddybär.
»Wenn es in Ordnung ist, würde ich auch gerne den Computer Ihrer Tochter mitnehmen«, sagte Wagner und nickte zu dem Acer PC auf dem Schreibtisch.
»Natürlich«, sagte Ulrik Storck. »Aber ich bezweifle, dass Sie etwas finden werden. Auch nicht in ihrem Kalender. Sie kannte ihren Mörder nicht, das versteht sich von selbst. Wie können Sie nur davon ausgehen, dass sie so unvernünftig sein könnte?«
Wagner setzte sich auf den roten Schreibtischstuhl.
»Davon gehen wir nicht aus, aber wir kannten Mette ja auch nicht. Sie war also ein vernünftiges Mädchen. Sie machte eine Lehre zur Rechnungsprüferin? Dann hatte sie ein Faible für Zahlen?«
Endlich war etwas Versöhnliches in Ulrik Storcks Blick zu erkennen.
»Sie liebte also Zahlen. Sie war sehr begabt mit allem, was mit Zahlen zu tun hatte. Aber sie wollte nicht studieren? Mathematik zum Beispiel?«
Das war eine berechtigte Frage. Mit zwei gebildeten und studierten Eltern wäre eine Universitätsausbildung nur naheliegend gewesen.
Ulrik Storck schüttelte den Kopf.
»Mette war eine Praktikerin, keine Theoretikerin. Sie war talentiert, was Bilanzen und Überschusskalkulationen, Kredit und Debit anbetraf. Fragen Sie ruhig bei ihrem Arbeitgeber nach.«
»Hammershøj Wirtschaftsprüfungsgesellschaft war das, nicht wahr?«, fragte Wagner. »Auf dem Åboulevarden?«
»Sie war da erst seit einem halben Jahr, aber sie waren sehr zufrieden mit ihr.«
Wagner stand auf. Vorsichtig sah er sich im Zimmer um, öffnete die Schubladen vom Schreibtisch und blätterte in ein paar Heften. Fast nur Zahlen. Wenige Buchstaben. Dazwischen ausgedruckte Seiten mit Zahlenkolonnen.
»Die nehmen wir lieber auch mit«, sagte er und legte die Hefte |62| und losen Blätter auf den Schreibtisch. »Wissen Sie, was die Zahlen bedeuten?«
Ulrik nahm eines der Hefte an sich und blätterte es durch. Dann schüttelte er den Kopf.
»Keine Ahnung. Aber so war sie eben. Alles wurde in Zahlen dokumentiert, von der Schuhgröße bis zu den mit dem Fahrrad zurückgelegten Kilometern. Das war so eine fixe Idee.«
Wagner blätterte erneut durch die Hefte. Er sah Ulrik Storck an, der seinen Blick aus müden Augen erwiderte.
»Haben Sie im Moment viel zu tun in der Kanzlei? Oder können Sie sich ein paar Tage freinehmen?«
Ulrik Storck verneinte mit einem Kopfschütteln.
»Wir stecken bis zum Hals in Fällen von Betriebsunfällen. Und ich habe gerade das Mandat für den Übergriff auf den jungen Abgeordneten der Sozialistischen Arbeiterpartei angenommen. Im Augenblick kommt ein hochrangiger Fall nach dem anderen bei uns rein.«
Wagner nickte.
»Hooligans, oder?«
Ulrik Storck zuckte mit den Schultern.
»Faschistische Gewalttäter würde ich die eher nennen. Fußball ist meist nur Fassade. Sie verabreden sich per SMS, wo sie sich treffen und Randale machen. Verdammt schwer zu beweisen. Aber so ist es nun einmal.«
»Und in diesem Fall wollten die ein Café verwüsten, in dem die Sozialisten verkehren?«
»Und dabei meinen Mandanten verprügeln, ja. Die waren der Ansicht, sie hätten noch eine alte Rechnung offen.«
Wagner erhob sich, um zu gehen. Hansen und er nahmen den Computer, den Kalender und die Rechenhefte mit und gingen zum Auto.
»Mette hatte einen Freund bei der Arbeit«, erzählte Hansen. »Ihr Vater wusste nichts davon, aber sie hatte sich ihrer Mutter anvertraut.«
»Und?«
|63| Hansen räusperte sich.
»Ihr Chef, ein Carsten Kamm.«
»Alter?«
»Siebenunddreißig«, antwortete Hansen und wurde grundlos rot. Er war genauso alt.
»Eine junge Frau von zweiundzwanzig und ein Mann von siebenunddreißig«, murmelte Wagner. »Das hat die Welt schon oft gesehen.«
»Die Mutter meinte, ihr Mann wäre an die Decke gegangen und explodiert, wenn er davon erfahren hätte. Sie hatten ihrer Tochter immer die Gleichberechtigung der Geschlechter, aber auch
Das-anständige-Mädchen-Einmaleins
gepredigt.«
Wagner schloss das Auto auf und musste unwillkürlich an die zwölf Jahre Altersunterschied denken,
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