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Der Menschenspieler

Der Menschenspieler

Titel: Der Menschenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Lavender
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hörte, blieb Alex mitten im Flur stehen und sah in das Büro des Dekans. Das Zimmer war nahezu dunkel, nur der schwache Schein einer Lampe fiel auf den alten Mann. Er saß in seinem Rollstuhl, die schlappe Perücke hing schief auf seinem Kopf, sein Lippenstift war verschmiert, seine Atmung schwer und feucht. Sie wartete darauf, dass er fortfuhr.
    »Deine Trauerrede morgen«, sagte er. »Hast du etwas geplant?«
    Das hatte sie nicht, aber sie wollte vor dem Schlafengehen ihre Gedanken notieren. So bereitete sie auch stets ihre Vorlesungen vor: Durch die Erschöpfung wurde der Verstand enthüllt und bloßgelegt, Hemmungen verschwanden.
    »Ich werde vorbereitet sein«, sagte sie.
    »Gut. Sally ist völlig hinüber, denke ich. Die Polizei beobachtet sie ununterbrochen. Es ist schrecklich. Sie wird ein bisschen Trost brauchen, eine gute Erinnerung an ihn.«
    »Natürlich.«
    Der Dekan bewegte sich, zog sich aus dem Licht zurück. »Und wie ging es Richard heute Abend?«
    »Er hat es nicht getan, Dekan Fisk.«
    »Das hat er dir gesagt.«
    »Ich kenne ihn. Ich weiß, dass er nicht dazu fähig ist.« Hast du eine Waffe? Ich kann dir eine besorgen.
    »Wir verändern uns«, sagte der Mann, dann hustete er heftig in seine Faust. Als der Anfall vorüber war, wiederholte er: »Wir verändern uns. Es begann, als ich mit Richard gebrochen habe. Als ihr den Abendkurs beendet hattet und er aus dem Gefängnis entlassen wurde, fing ich an, seine wahren Fähigkeiten zu erkennen. Ich begann, ihn als den zu sehen, der er wirklich ist.«
    »Er ist nicht so«, sagte sie. »Das ist … einfach böse.«
    »Ein abgenutztes Wort. Ich glaube, es ist viel einfacher.«
    »Einfach?«
    »Ich glaube, dass Michael etwas gefunden hat. Und sein Mörder musste ihn zum Schweigen bringen. Es ist purer Shakespeare, die Wahrheit mit der größten Stille auszulöschen. ›Denn Wahrheit ist am Schluss allemal Wahrheit‹ – und der Tag der Abrechnung ist nach Jasper gekommen, Alex. Michael hat die falschen Geheimnisse entdeckt.«
    »Geheimnisse über Fallows?«, fragte sie.
    »Sehr wahrscheinlich, ja.«
    »Ich weiß, dass er wieder die Prozedur gespielt hat. Mit Christian.«
    »Ja«, sagte Fisk, seine blinden Augen bewegten sich nun schneller. »Wie ich schon sagte, Matthew erzählt mir, dass er bei seinen Spaziergängen über den östlichen Hof sieht, wie sie sie spielen. Die Studenten. Abgespeckte Versionen, meistens an den Wochenenden. Nichts, das komplex genug war, um Michaels Interesse zu wecken. Aber es ist hier auf diesem Campus. Es hat sich ausgebreitet.«
    Sie dachte über die Tragweite dessen nach, was der Dekan gerade gesagt hatte. »Was bedeutet das?«
    »Es bedeutet, dass Richard vielleicht enger mit diesem College verbunden ist, als er zugibt. Und das lässt ihn verdächtig erscheinen.«
    Fisk ließ sich in seinen Rollstuhl fallen. Sein Gesicht war aschfahl und teigig, der kahle Kopf rosa und wund. Alex wünschte dem Dekan eine gute Nacht und verließ das Zimmer. Sie fühlte sich nicht mehr müde, obwohl es spät wurde. Stattdessen wurden ihre Sinne geschärft, und ihr Verstand arbeitete ruhig und präzise. Sie ging zielstrebig den Flur entlang und betrat die Bibliothek, in der sie vor einigen Stunden gewesen war.
    Wieder ging sie im matten Licht die Regale entlang und suchte nach den Modernisten. Mühelos fand sie Aldiss’ Geist , das sie sich als Markierung des Geheimfachs gemerkt hatte. Sie nahm das Buch vom Regal und …
    Das Manuskript war weg.
    Sie griff in das Fach und tastete wie verrückt danach in der Dunkelheit, spreizte ihre Finger auf den staubigen Regalbrettern. Sie fuhr mit den Händen über die Buchrücken, zog ein Buch nach dem anderen heraus, während ihr Herz wild pochte und sich klebriger Schweiß unter ihren Armen bildete. Nein , dachte sie. Bitte nicht .
    Wut. Die bittere, nagende Frustration brach sich in diesem Augenblick Bahn. Der Mord an Michael, die Aufgabe, die Aldiss ihr gegeben hatte, und der ganze Rest.
    Keller , dachte sie. Dieser verdammte Scheißkerl .
    Sie machte auf dem Absatz kehrt und verließ die Bibliothek. Im Korridor war es jetzt pechschwarz, und einen Moment lang wusste sie nicht, wohin. Die Tatsache, dass das Manuskript gestohlen worden war, ließ ihren gedankenverlorenen Blick verschwimmen und sie gegen die gammelige Wand stolpern. So viel Dunkelheit.
    Ein Geräusch. Schritte hinter ihr.
    Alex drehte sich um und legte ihre Hände flach an die Wand; furchtsam sammelte sie ihre Kräfte.
    »Hallo?«,

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