Der Metzger bricht das Eis
Erdaushub hinweg ins Leere.
Da will der Metzger jetzt natürlich wissen, weshalb, und erhält als Antwort: »Die Geschichte kennen heute nur noch die Alten.« Und weil sich Traude Fischlmeier trotz ihrer deutlich fortgeschrittenen Lebensjahre diesbezüglich offensichtlich nicht betroffen zu fühlen scheint, fügt sie hinzu: »Tratschen tun bei uns nur die Männer!«
»Schade!«, lässt der Metzger nicht locker.
»Wenn du gar so neugierig bist, musst halt zum Stammtisch gehen oder zum Stockschießen!« Dann folgt mit überraschend abgekühltem Unterton der Abschied: »Gibt bessere Plätze in unserm Ort als den hier. Also, pfüat di Gott.« Und weg ist sie, die Traude Fischlmeier.
So sind es also, wie der Metzger dann mit mittlerweile durchgefrorenen Ohren durch den Ort zurückspaziert, jede Menge Fragen, die sich zum Grundsatzrätsel: »Wer ist Karl Schrothe, und welche Beziehung hatte er zum Kalcherwirt?« dazugesellt haben.
Was hat es mit den offenbar so ungeliebten Axpichls auf sich? Warum und durch wen wurde Erich Axpichl so grausam hingerichtet? Hat Erich Axpichl etwas mit dem Unglück beziehungsweise dem Selbstmord Maria Kaufmanns zu tun? Besteht eine Verbindung zu Karl Schrothe?
Den einzigen Zusammenhang, den der Metzger bisher erkennen kann, ist das Thema Tod. Wie ein roter Faden zieht es sich von den Wasabinüssen auf dem Spielplatz bis zum Grab der Familie Kalcher.
Dann aber schiebt sich die einzige wirklich drängende Frage in den Vordergrund: »Wo bekomm ich eine neue Haube?«, gefolgt von einer weiteren, diesmal an einen Passanten gerichtete: »Wo finde ich das Sportgeschäft der Familie Kalcher?«
Ein wenig außerhalb der Fußgängerzone liegt es, was sich aber insofern positiv auf den Zustrom auswirkt, da es über einen eigenen Kundenparkplatz verfügt. So steuert der Metzger also auf den Eingang zu, völlig im Bewusstsein über die ihm nun zuteilwerdende, unerfüllbare Aufgabe: Er ist nämlich nicht nur hier, um sich eine Haube zu kaufen, die ihm passt, also gut sitzt, sondern die auch seiner Danjela passt, also dem weiblichen Auge gefällig erscheint. Einer Danjela, die am Tag zuvor dem Herrn freimütig eine andere Kopfbedeckung besorgt und geschenkt hat – das kann also nur schiefgehen.
Der vollgeparkte Kundenparkplatz hält, was er verspricht, und froh ist er, der Willibald, erspart er sich eine ambitionierte, an seine Ferse geheftete Verkäuferin. Und eine Verkäuferin wäre es geworden, da ist er sich während seines Rundblicks durchs Geschäft sicher, denn bei den Textilien tummelt sich ausschließlich weibliches, bei den Sportgeräten hingegen nur männliches Personal – was den Metzger auch nicht wundert. Ist ja ein durchaus sozialer Beruf, das Einkleiden eines Menschen: die Hebammen die Neugeborenen, die Kinderschwestern die Säuglinge, die Kindergartentanten die Kinder, die Volksschullehrerinnen die Schüler, die Krankenschwestern die Gebrechlichen, die Hospizschwestern die Sterbenden, ja und mittendrin und immer wieder die Verkäuferinnen die Kunden. Oben männliche Lackaffen, die sich für ihren Sozialstaat, ihr Unternehmen, ihre Leistung brüsten und gegenseitig mit unmoralischen Gehältern überfüttern, unten weibliche Dienstleister, die unterbezahlt diesen Sozialstaat, diese Unternehmen, diese Leistungen gewährleisten und sich aufgrund ihrer mütterlichen Instinkte bis zur Ehrenamtlichkeit herabwürdigen lassen.
Wunderbar geordnet ist also auch alles hier, im Sportgeschäft, an einem Ort, dessen Besuchsnotwendigkeit für den Metzger unter gewöhnlichen Umständen in die Kategorie »Stippvisite beim Tätowierer« fällt. Umso überraschender sticht ihm beim Durchschreiten der Skiabteilung die Tatsache ins Auge, dass er mit seiner physiognomisch deutlich sichtbaren Unsportlichkeit hier keineswegs der Einzige ist. Skisport und Sportlichkeit bedingen einander ja keineswegs, fürs unangestrengte Raufkommen ist gesorgt, und mit dem Runterfahren verhält es sich wie mit dem Gehen: Das verlernt man nicht mehr, selbst unter Alkoholeinfluss.
Fasziniert bleibt Willibald Adrian Metzger unweit zweier ähnlich übergewichtiger, kurzatmiger Herren, wie er selbst einer ist, stehen und starrt auf die Wand. Aneinandergereiht wie Zinnsoldaten wartet das, was heutzutage als Ski bezeichnet wird, auf seinen Erwerb und Einsatz. Während man in Willibalds Jugend ein paar so umgedrehte Bretter noch problemlos als Lattenrost hätte verwenden können, würde heutzutage die Matratze vorn und hinten
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