Der Metzger bricht das Eis
Schlepptau einen leeren Ackja, bremst sich ein und klingt aufrichtig besorgt: »Soll ich dich mitnehmen?«
Der Metzger muss lächeln: »Das ist sehr aufmerksam, alles in Ordnung. Außerdem, wenn ich mir so anseh, wie sich da einige die Piste hinunterschmeißen, sind Sie, glaub ich, ohnedies ausgelastet.«
Da sind sich also zwei auf Anhieb sympathisch, ähnlich wie Danjela Djurkovic und Robert Fischlmeier, denn der Bergretter setzt amüsiert nach: »Stichprobenartige Alkotestungen und Liftkarten nur mit Skiführerschein g’hörten her, des sag ich dir. So simpel wärs, des ganze Theater. Nur wird des nie was, weil mittlerweile verdienen die Seilbahnen mit ihren Restaurants, Hütten und Partyiglus mehr als mit’n Liftkartenverkauf, also runter mit den Schnapserln. Hier, im ganzen Skigebiet, gibt’s überhaupt nur noch eine private Hütten, den Reini und sei Bürglalm. Muasst dir auf jeden Fall anschauen. Da brauchst dann net auf der Pistn spazieren gehen.«
»Und Sie fahren also den leeren Ackja spazieren?«, erwidert der Metzger.
»Ja, da darfst net aufhören zum Trainieren, weil wenns an Einsatz gibt und du dabremst den Ackja net, schaut dein Fahrgast am End arm aus! Wennst net weggehst von der Schneelanzen, schaust übrigens a arm aus, weil die legen glei los!«
Instinktiv nimmt der Metzger die Hand von dem Aluminiumrohr, geht ein paar Schritte zur Seite und blickt fragend hinauf: »Und? Was regnet es hier so herunter auf die Piste?«
»Wenn es windig is, gar nix, und windig is es ja oft. Der Wind kommt meistens von dort«, der Bergretter deutet von sich weg in Richtung Piste, »und weil das, was da oben rauskommt, so fein ist, wird fast alles sofort in den Wald einiblasen. Gscheit, gell!«, entschlüpft es ihm zynisch.
»Ich schätze mal, im Tourismusbüro arbeiten Sie hier nicht?«, kann sich der Metzger jetzt nicht verkneifen, was der junge, sportliche Mann zuerst mit einem Lachen, dann mit einem Blick hinauf erwidert: »Na, hab ich’s nicht gesagt! Jetzt wirst nass.«
Oben zischt die Schneelanze, mit Ziel Pistenmitte, seitlich pfeift der Wind, mit Ziel Willibald Adrian Metzger, und plötzlich ist sie da, die Erinnerung an die Kernseife seiner Mutter und ihren groben Waschlappen. Kein Schlafengehen ohne Gesichtswäsche. Genauso fühlt er sich jetzt, der Metzger, während ihm die vom Wind beschleunigte Brise Kunstschnee die Backen massiert.
Bei derartig heftiger Außeneinwirkung ist zwecks Gleichgewichterhalts die Suche nach Halt natürlich naheliegend, was bei gleichzeitig geschlossenen Augen genau dann im wahrsten Sinn des Wortes in die Hose gehen kann, wenn das Naheliegende eben nicht mehr ganz so nahe liegt. Da hat er also bei seinem blinden Griff zurück auf die paar Schritte weg vergessen, der Metzger. Weg ist sie, die Schneelanze, dafür zeigt sich die Rückseite seiner Schnürsamthose von der stärksten Seite. Saugstärksten wohlgemerkt. Weicher Kunstschnee ist eben eines mit Sicherheit: eiskalt und pitschnass.
»Is unangenehm, oder?«, sagt einer, der gerade die Sonnen- gegen die Schneebrille ausgetauscht hat. Dennoch ist er für den Metzger jetzt unübersehbar, dieser ganz seltsame Blick, der ihm da zugeworfen wird.
»Und warum gibt jetzt trotzdem Skigebiet auf Kalcher-Grund?«, kehrt Danjela Djurkovic zum Thema zurück und verspürt nie dagewesene Bereiche ihres großen Gesäßmuskels.
»Weil des Schicksal die Kalchers in die Knie gezwungen hat. Tödlicher Autounfall. Die Frau vom Horst, die Marianne, und die älteste Tochter Isabella. Schrecklich war das für alle. Jedenfalls wollt dann der Sepp, dem ja die Gründe damals noch gehört haben, zumindest die Sorgen mit dem Ort loswerden, und hat deshalb den Pachtvertrag unterschrieben. Sehr nobel haben sich die Thuswalders dabei angstellt, den Kalchers eine neue Zufahrt baut, beim Ausbau der Gästezimmer gholfen und ihnen mietfrei die Räumlichkeiten fürs Sportgeschäft samt einem größeren Wagen zur Verfügung gstellt. Nur der Horst war wie verändert, hat nicht vergessen können, wie man vorher im Ort mit ihm umgangen is, und war sich immer sicher, dass der Axpichl Erich seine Frau und die Isabella auf dem Gwissen hat. Schlimm, so einem Menschen kannst nicht helfen. Dann ist ihm eines Tages seine Tochter, die Lisl, die am meisten unter dem Verlust und seiner Veränderung glitten hat, auf und davon. Alle haben wir sie gsucht, und dabei …«
Robert Fischlmeier wird ruhig, drosselt sein Tempo, auch weil nun die Zielebene mit all den
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