Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der mieseste aller Krieger - Roman

Der mieseste aller Krieger - Roman

Titel: Der mieseste aller Krieger - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
fand er das namenlose Püppchen, das aus vollem Halse schrie.

Arche Noah, 1970
    Meine Erinnerungen erloschen, als wir Schiffbruch erlitten.
    Der Flug der Geier, die über unserer Arche kreisten, kündigte die Gefahr bereits an. Doch ich putzte an jenem Abend noch alles an Bord blitzblank, die Trini ging mir eher widerwillig zur Hand. Bevor ich die Tür verriegelte, flackerte die rote Glühbirne, die den Betrunkenen den Kopf verdrehte, für einen kurzen Moment auf, der Glühfaden vibrierte und erlosch schließlich. Auf dem Weg nach Hause dachte ich daran, dass ich die Birne am nächsten Tag auswechseln musste.
    »Samu, wach auf! Das Arche steht in Flammen!«
    Erschrocken schlug ich die Augen auf, Hitze brannte mir in der Kehle bis hinunter in den Magen.
    »Na los! Steh schon auf!« Flor schüttelte mich.
    Als ich allmählich begriff, was sie mir sagen wollte, rannte ich wie ein Besessener los. Mir verschlug es die Sprache: Das Arche brannte lichterloh, es knisterte und fauchte wie ein prähistorisches Ungeheuer. Ich kämpfte mit den Tränen. Unser Schiff, das uns so viel Freude bereitet hatte, ging dahin mit seiner Vitrola-Musik auf der staubigen Calle Jotabeche! Die züngelnden Flammenstierten mich von den Fenstern aus an wie gewaltige Meeresschnecken. Benito, du musst von diesem Feuer schreiben, es ist wichtig! In meinem Kopf hallt der dumpfe Aufprall eines Lebens nach, das in jenem Moment in sich zusammenstürzte – wie das Arche auf seinem Sandmeer.
    »Wie ist dieses Feuer entstanden?«
    »Das wüsste ich auch gerne.«
    »Vielleicht durch einen Kurzschluss?«
    »Das glaube ich nicht. Ich selbst habe die Sicherung herausgeschraubt, die das gesamte Lokal mit Strom versorgte.«
    Der Carabinero notierte sich dienstbeflissen meine Antworten.
    »Hing noch irgendwo ein Gerät an einer Steckdose?«
    Ich konnte mich nicht erinnern.
    »Sind die Leitungen sehr alt?«
    »Ja, das sind sie sicher, wie fast überall im Ort.«
    »Haben Sie Feinde?«
    »Ja, aber die haben ihren Groll sicher längst begraben.«
    »Das kann man nie wissen.«
    Sie bestellten mich ein, um den Papierkram zu erledigen, aber ich wollte nicht mit den Behörden reden – wer, wenn nicht sie, lebten von Zerstörung und Tod? Ich hatte genug von ihren heuchlerischen Gesetzen, von ihren Büchern mit den vielen Seiten, die nur zum Vorteil der Gringos geschrieben waren. Darauf zu bestehen, dass man der Brandursache nachging, hätte bedeutet, sich auf das korrupte, ausbeuterische Kalkül einzulassen. Und dessen war ich müde. Als dieBeamten sich nach meinen Feinden erkundigten, musste ich daran denken, dass Pater Alzamora den Namen des Bordells nie verwunden hatte, aber ich wagte nicht, das zu erwähnen. Es wäre ohnehin reine Zeitverschwendung gewesen, denn niemals würden sie den Gott des Dorfes anklagen. Ich hatte die Nase voll. Genau wie die Kumpel bewegte ich kaum noch die Lippen beim Sprechen, und Grau hatte meine Haare, meine Brauen und meinen Bart überzogen, wenn ich ihn mehr als zwei Tage sprießen ließ. Am Ende wurde der Brand als Unfall deklariert, eine Frage göttlichen Ermessens, wie Alzamora sagte.
    Tags darauf besichtigte ich die Trümmer, als plötzlich die zwergenhafte Trini auftauchte.
    »Das ist eine Tragödie, Samu! Eine Tragödie!«, rief sie.
    Sie warf sich mir in die Arme, aber ich konnte sie nicht auffangen, um sie zu trösten, denn ich hatte selbst Mühe, den Anblick zu verkraften. Keine Hocker, keine Stühle, keine Theke mehr, hinter der ich gearbeitet und die Machete versteckt hatte. Alles rauchende Asche. Während ich mich in Gedanken zum Werden und Vergehen der Dinge verlor, holte die Trini mich in die Realität zurück.
    »Was soll jetzt aus mir werden, Samu! Wovon soll ich leben?«
    Sie trommelte mir mit ihren kleinen Fäusten auf die Brust und verlangte eine Lösung von mir. Die Trini gehörte seit jeher zum Inventar im Arche Noah , genau wie die rote Glühbirne des Fegefeuers, und ehrlich gesagt war es kaum vorstellbar, dass sie dort nicht mehr am Rudersaß. Sie verzog den Mund, schüttelte den Kopf, seufzte. Doch sie weinte ohne Tränen. Das sagte mir Flor, als wir wieder zu Hause waren.
    »Es ist übertriebenes Getue, Samu.«
    Die Nacht hatte sich über das Grundstück meiner untergegangenen Arche Noah gesenkt, und nun war nur mehr ein verkohlter Krater davon übrig, der sich mit dem Mittelpunkt der Erde zu verbinden schien. Es war alles vorbei. Als seien vierunddreißig Jahre nichts gewesen, als hätte ich an dieser Stelle

Weitere Kostenlose Bücher