Der mieseste aller Krieger - Roman
um ein Handtuch zu holen, und dachte, dass dies wirklich der ungünstigste Zeitpunkt sei, um einen Arzt zu rufen. Es war mitten in der Nacht, und es gewitterte. Kurzentschlossen hastete er zur Kajüte des Kochs. Die Inglesa flehte ihn keuchend an, sie nicht allein zu lassen, doch eine neue Wehe schnitt ihr an der entscheidenden Stelle das Wort ab. Sie schrie nun so laut, dass es die übrigen Matrosen aus dem Schlaf riss. Bald kehrte Ronal in Begleitung des Kochs zurück, der immer wieder betonte, er verstehe nichts von Geburten. Kurz darauf steckten einige Neugierige die Köpfe zur Kajütentür hinein. Einer sagte, er kenne eine Hebamme in der Hafenstadt, und ein anderer lief los, um eine Schankwirtin zu holen, doch die Schmerzen ließen der Inglesa keine Zeit mehr. Sie spreizte die Beine und fing an zu pressen. Alle schauten zu, ohne zu wissen, was sie tun sollten und was als Nächstes passieren würde. Als Ronal ihr schließlich das Hemd hochhob, sah er, dass der Kopf des Babys bereits ein wenig hervorschaute. Die Inglesa holte noch einmal tief Luft, krallte sich am Bettlaken fest und presste erneut. Der Koch bat mit Schweißperlen auf der Stirn darum, das Fenster zu öffnen. Beim dritten oder vierten Pressen endlich kam der Kopf deiner Mutter zum Vorschein, und der Koch zog und zog, bis ein kleines schreiendes Bündel auf dem Laken lag. Keiner wusste, wie man das Baby von der Mutter trennte, schließlich rief Ronal den Experten für Seemannsknoten herbei. Es heißt, dem Mann hätten dieHände gezittert, als er einen sehr dünnen Strick um die Nabelschnur legte und ihn so lange zusammenzog, bis sie durch war.
»Hier, nimm dein Töchterchen.« Sichtlich ergriffen reichte der Koch Ronal das in Tücher gewickelte Neugeborene.
Ronal hatte Angst, der Kleinen mit seinen großen Pranken die Beinchen zu brechen, deshalb wanderte die Tita nach wenigen Sekunden in den Arm ihrer Mutter. Schließlich traf die Schankwirtin in Begleitung des Arztes ein. Mit energischer Stimme schickte sie die Matrosen fort und half dem Doktor, Mutter und Kind zu versorgen. Als der Arzt nach einer bangen Stunde verkündete, alles sei in Ordnung, stießen die Matrosen voller Begeisterung mit Hochprozentigem auf das an, was sie für das Töchterchen ihres Kameraden hielten.
Es verstrichen Tage und Wochen, und die Kleine verzauberte die harten Männer mit ihrem zarten Lächeln und ihren winzigen Händchen. Und dann verkündete die Inglesa Ronal auf einmal, dass sie für eine Woche fortgehen wolle.
»Ich will etwas Geld besorgen und kehre zurück, sobald ich es bekommen habe. Ich muss dich bitten, dich um die Kleine zu kümmern, bis ich wieder da bin.«
Doch das Schicksal wollte, dass die Inglesa wieder den alten Weg mit Sofanor einschlug und ihr Versprechen nicht einhielt. Sie kehrte nicht zurück, zu groß war die Sehnsucht nach dem strahlenden Ganovenlächeln meinesFreundes gewesen. Zu reizvoll die Aussicht auf einen neuen Raubzug mit ihm. Warum nur erzählte sie Sofanor nicht von dem Baby? Sie tat es weder in Iquique noch in Antofagasta, wo sie sich das Satinkleid kaufte; auch nicht in Copiapó, wo sie sich von der Lorenzona trennten. Nein, dieses unverhoffte Glück wollte sie meinem Freund offenbar nicht bescheren, dabei hätte es die ätzende Bitterkeit zu lindern vermocht, die sich während ihrer Abwesenheit in ihm angestaut hatte und ihn innerlich verzehrte.
Auf einmal herrschte nicht mal mehr Streit zwischen ihnen, sondern nur noch: Stillschweigen. Hätten sie sich die Wahrheit gesagt, wäre ihre Geschichte anders verlaufen.
Natürlich fühlte Ronal sich betrogen. Von einer, die nichts von mütterlichen Pflichten wissen wollte, konnte man wohl kaum erwarten, dass sie sich ihrer ehelichen entsann. Inzwischen hatte er einsehen müssen, dass die Inglesa nicht mit ihm Richtung Mutterland aufbrechen würde. Als der Auslauftermin der Natal Star kurz bevorstand, erteilte der Kapitän ihm die Erlaubnis, mit der Tita nach Paitanás zu reiten. Die Matrosen besorgten ein bequemes Körbchen für die Kleine, und jeder von ihnen legte zum Abschied einen Geldschein hinein.
In Paitanás erzählt man sich seither, ein Engländer habe die Beerdigung für das Paar bezahlt. Ich glaube, es war derselbe Mann, der ein paar Mal ans Kirchentor pochte, bevor er in aller Eile die Flucht ergriff und nichts als eineStaubspur hinterließ. Gott Alzamora, der sich in der Sakristei aufhielt und das Klopfen gehört hatte, ging hinaus, um nachzusehen, was los sei. Da
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