Der mieseste aller Krieger - Roman
nicht die meisten Abende meines Lebens verbracht. Deshalb verstand ich die Trini so gut, als sie sich über ihre Zukunft beklagte, und verteidigte sie gegen den Vorwurf meiner Frau, sie spiele nur Theater. Aber Flor hatte recht. Wenn man trockenen Auges weint, ist da keine Trauer, und die Trini hatte schon lange vor der Katastrophe geweint, nämlich als sie sie plante. Und dann, als sie die Wände mit einem Kanister Benzin übergoss. Die labyrinthischen Windungen des Gehirns sind unergründlich, und diese Närrin glaubte tatsächlich, Alzamora würde sich der Sache annehmen und für sie sorgen, was aber erst drei Jahre später geschehen sollte. So erzählten es einige Kirchgänger meiner Flor, diese Stimmen, die kurz vor der staubigen Calle Jotabeche verstummten. Doch ich habe immer noch Fragen, Benito, weshalb du dich nur mühsam vorantastest, um den Puls der alten Zeiten zu ergründen. Keiner sollte ganz verschwinden, bevor nicht schriftlich abgerechnet wurde. Mach also weiter so, und später fährst du mit dem Begräbnis fort.
Iquique, 1956
Ein Schweißtropfen hatte die Strähne befeuchtet und gezähmt, die ihm ständig über das Auge fiel. Die Tita betrachtete sein bleiches Gesicht und suchte seine Nähe, genau wie ihre Freundin Miriam, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Carmelos Worte waren mehr ein Hilferuf als ein Ausdruck von Wut oder Rebellion, wenn in der Universität über das Problem der Verlegung der Fakultät debattiert wurde.
Die Tita kam immer mit guten Noten nach Hause. Sie sah nicht aus wie eine mit guten Noten, aber so war es. Deshalb schlug ich meiner Flor vor:
»Wenn das Mädchen genügend Grips im Kopf hat, sollten wir zusehen, dass sie eine gute Ausbildung bekommt und Selbstvertrauen, dann wird sie es weit bringen.«
Flor war ebenfalls der Meinung, sie würde es weit bringen, allerdings nicht auf die Art, wie es dann kam. Hätte unsere Tochter damals gewusst, was ihr bevorstand, wäre sie vielleicht fortgegangen wie manche ihrer Kommilitonen. Die Tita hatte ohnehin diese Manie, spurlos zu verschwinden, ohne dass irgendjemand wusste, wo sie steckte. Auch als sie schon siebzehn war, musste meine Flor sie deswegen schelten.
»Das sind die Gene«, sagte ich.
Aber Flor wollte nie wahrhaben, dass das Mädchen ihren Händen entglitten war. Nun erklärte meine Frau mir besorgt, sie habe die Tita mit einem Studenten von der Universität gesehen. So hörte ich zum ersten Mal von Carmelo. Flor beschrieb ihn als gottlos und eitel, und dann schimpfte sie, er habe Tita mit seinen kommunistischen Ideen das Hirn verdreht. Ich selbst habe ihn nur einmal gesehen, weshalb meine Meinung über ihn stark davon beeinflusst war, was die Leute mir hinterher erzählt haben. Carmelo war eine Mischung aus Privatforscher, Journalist und Fotoreporter. Obwohl er gerne Pressenachrichten schrieb, verdiente er sich seinen Lebensunterhalt hauptsächlich mit der Kamera. Ich werde versuchen, Benito, dir ein wenig über deinen Vater zu erzählen: In Antofagasta wurde er 1966 in den Universitätsausschuss der traditionsreichen Universidad de Chile gewählt, stieg 1967 in den Ausschuss für die Verbreitung von Kultur und Bildung auf und wurde Sprecher der Studentenorganisation. 1968 übernahm er die Leitung der Temporären Schule der Universität in Maria Elena, außerdem produzierte er die Fernsehserie Caminando und war Leiter der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit der Universität von Antofagasta. 1969 tat er sich als Produzent und Co-Regisseur des Films Los niños hervor, den das staatliche Fernsehen im Auftrag des Dienstes für Öffentlichkeitsarbeit und praktische Pädagogik für Kinder im Vorschulalter der Universität von Antofagasta drehte. Mit seinem Curriculum könntest du zwei ganze Seiten füllen.
Was Flor nicht wusste, war, dass die Tita sich an jenem Nachmittag unter die Menschenmenge gemischt hatte und, obwohl sie wegen des euphorischen Tumults auf der Straße nur die Hälfte von Carmelos Rede verstand, in den Beifall der anderen mit einfiel. Immer mehr Studenten versammelten sich, manche stimmten zum Applaus Lieder an, während die Sonne in ihrer bleiernen Schwere unterging. Wie nicht anders zu erwarten, entdeckten die Demonstranten bald, dass sich zwei Straßen weiter Polizeiketten formiert hatten, um dem Aufmarsch Einhalt zu gebieten und die Aktion aufzulösen. Einige der Protestierenden bekamen angesichts der drohenden Konfrontation weiche Knie, doch die beiden Anführer, Carmelos Freunde und politische
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