Der mieseste Liebhaber der Welt
Hause gefahren, aber vor dem Haus ihrer
Eltern hatte ich Sina in dieser Nacht zum ersten Mal geküsst. Es bestand kein Zweifel, ich war verliebt. Es hatte lange genug
gedauert, bis ich über die ungesunde Fixierung auf meine Deutschlehrerin hinweggekommen war. Und nun sah es sogar so aus,
als ob meine Gefühle von Sina erwidert würden. Ich war inHochstimmung, als ich am Montagmorgen auf den Parkplatz der »Möbelwelt« einbog.
»Okay, was hat die Rader euch erzählt?«, fragte ich in die Runde.
»Sagt schon!«
Doch niemand der Jungs rückte raus mit der Sprache.
»Was soll die Rader uns denn erzählt haben?«, antwortete Goerden schließlich. »Am Wochenende bleiben wir ja Gott sei Dank
von dem Vorzimmergeschoss verschont.«
»Bums du mal lieber ein paar schöne Kisten zusammen«, ergänzte Conrad, »wir wissen ja nun, dass du das kannst, wenn du dir
Mühe gibst!«
In diesem Stil ging das den ganzen Vormittag weiter. Ich konnte nur hoffen, dass Loni Rader den Kreis überschaubar gehalten
hatte, den sie mit ihren Indiskretionen belieferte, doch wenn ich ehrlich zu mir war, konnte ich mir da keine großen Hoffnungen
machen. Langsam verstand ich, wer den Klatsch über ihre amourösen Abenteuer in der »Möbelwelt« lanciert hatte: sie selbst.
Als Sina nicht wie vereinbart beim Italiener auftauchte, ahnte ich schon, dass das kein gutes Zeichen war. In meinem Inneren
krampfte sich alles zusammen. Meine Spaghetti ließ ich fast vollständig zurückgehen. Anschließend versuchte ich noch eine
Stunde lang, ein paar Nägel in Holzbretter zu hämmern, als ob nichts sei, doch ich war so unkonzentriert, dass ich mich beinahe
selbst angeschossen hätte. Ich musste mit Sina reden, so schnell wie möglich. Auf dem Weg zum Glaspalast begegnete ich Dettlaff,
unserem Betriebsleiter. Der Mann behandelte mich normalerweise so formvollendet, als sei ich ein Abgesandter des Vatikans.
Diesmal aber grinste er im Vorbeigehen und zwinkerte mit dem Auge. Er ZWINKERTE mir zu. Dettlaff.»Hallo, Markus, mein Schatz, ich hoffe, du hattest ein wunderwunderschönes Wochenende!?« Nichts im Verhalten Loni Raders ließ
darauf schließen, dass sie mir erst vor drei Tagen an die Wäsche gegangen war. Dieser Frau gebührte der Oscar. Ich ignorierte
ihre falschen Liebenswürdigkeiten.
»Wo ist Sina?«
Vielleicht hatte ich ja Glück und sie war krank?
»Ach, das Fräulein Mende fühlte sich heute Morgen nicht so gut, sie sah wirklich blass aus, Markus. Ich musste sie nach der
Frühstückspause nach Hause schicken, das arme Mädchen!«
Dazu schüttelte sie bedauernd ihren Kopf. Ich fasste es nicht. Diese Frau war der Teufel. Sina hatte Recht gehabt. Sie führte
tatsächlich einen Feldzug gegen jeden einzelnen Mann in dieser Firma. Mir war klar, dass ich jetzt besser keinen Streit vom
Zaun brach. Ich überlegte kurz, ob ich den Laden von meinem Vater nicht doch übernehmen könnte, so in etwa zwanzig Jahren.
Doch das Risiko, dass ich den großen Moment nicht mehr erleben würde, Loni Rader persönlich rauswerfen zu können, bevor sie
das Pensionsalter erreichte, erschien mir doch etwas zu groß. (Abgesehen davon, dass ich mich bis dahin vermutlich in der
»Möbelwelt« zu Tode gelangweilt hätte.) In stummer Wut war ich schon wieder im Begriff, den Glaspalast zu verlassen, als die
Tür zum Büro meines Vaters geöffnet wurde.
»Markus, hast du mal einen Moment?«
»Sicher.«
Ich schlenderte in sein Büro und schloss die Tür hinter mir. Ich hoffte, dass er der Einzige in dieser Firma war, der noch
nichts von der erotischen Einlage seines Sohnes gehört hatte. Doch auch mit dieser letzten Hoffnung an diesem Tag war schnell
Essig. Mein Vater vertrödelte keine Zeit.
»Mensch, Markus, konntest du diese Geschichte nicht ein wenig diskreter angehen?«, fiel er mit der Tür ins Haus. »Esist wirklich nicht angenehm, dass sich die ganze Firma über den Filius des Chefs amüsiert.«
»ICH habe doch nichts davon in die Welt gesetzt!«, dementierte ich halbherzig und versuchte nicht erst, die Untat als solche
abzustreiten. »Das war doch die Rader selbst, die das rumerzählt hat!«
Das schien meinen Vater zu überraschen.
»Was sollte sie denn für ein Interesse daran haben?«, fragte er.
»Und ich? Welche Motive hätte ich?«
Mein Vater grinste fein. Okay, Punkt für ihn. In seiner Welt gehörte eine kleine Vögelei mit der Sekretärin des Bosses zu
den Geschichten, die man gerne zum Besten
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