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Der mieseste Liebhaber der Welt

Der mieseste Liebhaber der Welt

Titel: Der mieseste Liebhaber der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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davon?«
    »Och, ich weiß nicht   …«
    »Komm, sei mal spontan, gönn dir mal was, das Leben ist kurz.«
    »Und teuer!«
    »Ach, das ist doch nicht teuer. 35   Mark und wir machen was Schönes!«
    »35   Mark?«
    Jetzt wurde ich doch nachdenklich. Das schien ein fairer Preis zu sein für die vielfältigen Dienstleistungen der üppigen Dame.
    »Komm weg von dem Fenster«, rief Boymanns, »die macht dich doch alle mit ihren Möpsen.«
    Ich nickte der Dame entschuldigend zu. Doch sie hatte mich schon vergessen und suchte die Straße nach anderen potenziellen
     Freiern ab. Vor dem heutigen Tag war ich noch nie in dieser Straße gewesen, obwohl sie bei uns Kleinstadtjungs einen legendären
     Ruf genoss. In der Hubertusstraße in Aachen sitzen die geilsten Weiber in Schaufenstern rum, hieß es bei uns in Blankenburg.
     Ich konnte mir lange Zeit nicht vorstellen, wie das aussehen würde, wenn Frauen im Schaufenster sitzen, doch als ich es jetzt
     leibhaftig erlebte, war ich ein wenig enttäuscht. DAS hatte ich mir eine Spur glamouröser vorgestellt, wenn ich ehrlich war.
     In den rot beleuchteten Fenstern stand bloß ein schmuckloser Holzstuhl, wie er in jedem billigen Imbiss zu sehen war. Darauf
     hockte dann eine der Huren und blätterte in einem Kreuzworträtselheft, sofern sie nicht mit einem Gast auf dem Zimmer zugange
     war.
    Das Ganze hatte was von einer Landwirtschaftsausstellung, was vermutlich mit den großen Brüsten der meisten Damen hier zu
     tun hatte. Man brauchte nicht lange über die entsprechenden Assoziationen nachzudenken.
    Ich schlenderte die Hubertusstraße schon zum zweiten Mal hinunter. Zum großen Teil waren es attraktive, junge Frauen, die
     sich hier im knappen Bikini oder in durchsichtigen Blusen zeigten. Ich war immer davon ausgegangen, dass man Nutten schon
     aus der Entfernung an ihrem billigen Fummel erkennt und an einer abgerissenen, irgendwie schlampigen Ausstrahlung, aber da
     war ich vermutlich bloß den Klischees des deutschen Fernsehens und der PR derkatholischen Kirche aufgesessen. Hier waren richtig schöne Frauen am Start. Zudem ein Querschnitt aller Nationalitäten und
     körperlichen Ausprägungen. Es waren dicke Alte dabei und junge Dünne, aber auch dicke Junge und dünne Alte. Einige wasserstoffblonde,
     aufgedonnerte Elsen hockten neben unscheinbaren, nahezu ungeschminkten Frauen, die man auch an der Aldi-Kasse kein zweites
     Mal angeschaut hätte; Frauen mit der Ausstrahlung von Katharina der Großen standen hier gleich neben der Wiedergängerin von
     Heidi, die mit Zöpfen und im Dirndl den Bergsteiger in uns zum Klingen bringen wollte.
    Das wirkte alles ziemlich verstörend und ich war froh, dass wir das hier im Rudel erlebten und uns gegenseitig stützen konnten,
     wenn sich wieder eine der Huren freundlich erkundigte, ob wir nicht mit ihr vögeln wollten. Allzu häufig wurden uns solche
     Angebote in Blankenburg nicht unterbreitet. Mit neunzehn nimmt man diese Anfragen noch persönlich. Ich musste mich am Riemen
     reißen, um mich bei den Damen nicht ausdrücklich dafür zu entschuldigen, dass ich ihre reizvollen Dienste vorerst nicht in
     Anspruch nehmen wollte.
     
    Fredi hatte die Idee gehabt, wer sonst. Wir hatten ein paar Stunden in einer Studentenkneipe gebechert und es fertig gebracht,
     uns eingedenk der
schönen alten Zeiten
in eine melancholische Stimmung zu trinken. Bevor wir uns noch gegenseitig in den Arm nahmen, hatte Fredi vorgeschlagen, mal
     auf der »Hubertus« nachzusehen, was die »Hasen« machten. Vierzehn Jungs hatten daraufhin grölend beschlossen, die alten Zeiten
     zu vergessen und lieber die neuen zu feiern.
    Drei Monate war es erst her, dass wir alle gemeinsam in Blankenburg Abi
gebaut
hatten. Ich hing eigentlich nur mit ihnen herum, weil Maria nach ihrem Jahr in Italien nichtmehr an unsere Schule zurückgekehrt war. Manchmal fehlte sie mir immer noch, ich hortete die Fotos unserer gemeinsamen Kindheit
     wie einen Schatz. Niemand war mir je so nah gewesen wie Maria, und niemandem hatte ich mehr Einblicke hinter die Fassade meines
     kleinen Lebens gewährt. Aber das war vorbei. Meine Mitschüler waren nach dem Abi in den Sommerurlaub abgetaucht, aber wir
     waren alle noch einmal zurück nach Hause gekommen, um uns von unserem alten Leben und der Familie zu verabschieden. (Ich hatte
     es tatsächlich nach Korsika geschafft   …) In den nächsten Tagen würden wir uns wieder in alle Himmelsrichtungen verstreuen und so bald auch nicht

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