Der mieseste Liebhaber der Welt
Ausschnitt kriecht.«
Innerlich zuckte ich zusammen. So war das also. Die Firma »Möbelwelt« kroch einem Kleinstadtvamp in den Ausschnitt. Offenbar
war Sina ein wenig eifersüchtig auf ihre ältere Kollegin. Aber sie hatte natürlich Recht. Loni Raders Feldzug in eigener Sache
wurde nicht mit feiner Klinge ausgefochten, das war mir schon klar. (Bei mir hatte er trotzdem die gewünschte Wirkung, auch
wenn ich das vor Sina nicht zugeben würde.)
»Ach, ich kenne die schon sooo lange – sie ist ein bisschen schräg, aber nicht übel.«
Das klang ein wenig halbherzig, aber was sollte ich denn sagen. Dass Sina nichts davon verstand, wie Männer ticken?
»Also, wie ich das sehe, ist diese Frau einfach ein vollkommener Psychopath«, fuhr Sina fort. »Sie steht drauf, dass allehier drin – inklusive deinem Vater übrigens – vor ihr Männchen machen, das ist das Größte für sie. Und du solltest mal hören,
wie sie über die Typen lästert, wenn keiner im Raum ist. Sie ist die größte Maulhure, die ich je getroffen habe. Diese Frau
befindet sich im Krieg gegen Männer, ehrlich, Markus, und es ist typisch, dass das keiner von euch Nasen wahrhaben will!«
»Ich finde, jetzt übertreibst du aber wirklich«, widersprach ich ihr, aber es war eher ein Reflex. Darüber nachdenken konnte
ich ja später immer noch. Vorerst mümmelte ich an dem Eis, das ich uns zum Dessert beim Italiener besorgt hatte. Sina ging
nun doch hin und wieder mit mir essen. Sie hatte mich am Ende meiner ersten Woche im Ferienjob auf einem internen Telefon
in der Kistenfabrikation angerufen und gefragt, ob mein Angebot noch stehe. »Ich werde hier drin noch wahnsinnig, wenn ich
den ganzen Tag von dieser Büro-Kurtisane umgeben bin.« Allerdings verlangte sie, dass über unsere gemeinsamen Pausen nichts
bis in den Glaspalast drang.
»Ich will nicht, dass diese verrückte Frau auch noch anfängt, gegen
mich
zu intrigieren.«
»Wieso sollte sie das tun?«, fragte ich, doch Sina ließ sich auf keine Diskussion ein.
»Das würde sie«, antwortete Sina, »glaub’s mir!«
Ist es nicht erstaunlich, dass Frauen in der Regel einfach mehr davon verstehen, wie das Leben funktioniert?
Die Dinge entwickelten sich, obwohl Sina mir keinen Bullshit durchgehen ließ. Sie gehörte zu den ernsthaftesten Mädchen, die
ich kannte. Small Talk war mit ihr nicht zu machen. Das gestaltete unsere Mittagspausen zuerst ein bisschen zäh, bis ich mich
darauf eingestellt hatte, dass ich mit meinen antrainierten Halbweisheiten und locker klingenden Banalitäten bei ihr nicht
weit kam. Das irritierte mich zunächst,doch als ich merkte, dass sie mich zu mögen schien, ohne dass ich mir das verdienen musste, wurde ich langsam ruhiger. Ich
nahm ihr ein Tape mit meinen Lieblingssongs auf und sie revanchierte sich mit dem Buch eines Autors, von dem ich noch nie
gehört hatte. Jochen Schimmang hieß er und hatte gerade bei Suhrkamp sein Romandebüt vorgelegt: ›Der schöne Vogel Phönix‹.
Ich befürchtete das Schlimmste, Suhrkamp-Bücher gehörten damals nicht unbedingt zu meiner Lieblingslektüre, bei den wenigen
Exemplaren, die ich aus unterschiedlichen Gründen lesen musste, rauchte mir hinterher der Kopf. Doch Schimmangs Buch berührte
mich. Sein Protagonist suchte zwischen den gesellschaftlichen Wirrungen der Zeit (Bundeswehr, Berlin und Studentenbewegung)
nach einem Weg, sich selbst nicht völlig aus den Augen zu verlieren. Ich identifizierte mich auf der Stelle mit ihm, und Sinas
Hinweis, sie habe gleich gespürt, dass ich das Buch mögen würde, spielte dabei vermutlich auch eine Rolle. An Klara auf Korsika
dachte ich schon seit ein paar Tagen nicht mehr. Selbst Loni Raders Hausfrauenerotik spielte in meinen feuchten Träumen nur
noch eine Nebenrolle. Von Tag zu Tag wurden Sina und ich uns vertrauter, aus dem leichten Vibrieren war schon der heftige
Flügelschlag eines Schmetterlings geworden. Wir trafen uns nun auch außerhalb der »Möbelwelt«. Am nächsten Wochenende wollten
wir uns Udo Lindenberg auf der Loreley-Freilichtbühne am Rhein anhören. Vermutlich mussten wir dann irgendwo übernachten,
wenn wir nicht gegen Mitternacht drei Stunden zurück nach Hause fahren wollten. Wie gesagt, die Dinge entwickelten sich, als
mein Vater mich in der Kistenfabrikation anrief und bat, ihm einen Gefallen zu tun.
Die Belgier rückten gegen 21 Uhr an, parkten ihren mächtigen Vierzigtonner parallel zum Tor der
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