Der mieseste Liebhaber der Welt
wiedersehen. Wehmut
lag in der Luft. Nur Kosslowsky stieg bei seinem Alten in der Herrenboutique ein und blieb in Blankenburg, auch Steuer und
Baltes warteten zu Hause ab, wohin sie am Ende des Jahres vom Bund einberufen wurden. Der Rest unserer Gruppe saß schon mehr
oder weniger auf gepackten Koffern, Studienorte wie Marburg, Gießen oder Heidelberg erfreuten sich einer gewissen Beliebtheit
bei uns Kleinstadtnasen. Das war zwar ausreichend »out of Blankenburg« für die meisten von uns, sie klangen aber gleichzeitig
nicht so schrecklich nach
Großstadt
. Nur meinen besten Freund Fredi Lehmann zog es nach Berlin, weil er dort am Barras vorbeikam, ohne anderthalb Jahre Zivildienst
absitzen zu müssen, und weil er glaubte, dass das Leben in Kreuzberg 36 seiner Persönlichkeit entsprach. Billige Mieten, die
Möglichkeit, lange auszuschlafen, und Kommilitonen, die noch weniger Ehrgeiz auf ihr Studium verwandten als er – mehr erwartete
er nicht. Ich selbst würde in einer Woche nach München aufbrechen, wo mein Zivildienst in einer Jugendherberge auf mich wartete.
Anderthalb Jahre Tee ausschütten und Betten machen in Bayern. Das klang schräg genug in meinen Ohren, um es mal zu versuchen.
Darüber hinausreichende Zukunftspläne hatte ich nicht.Vielleicht würde ich ja tatsächlich mal ein Jahr nach New York gehen. Oder ich würde ebenfalls in Berlin studieren, wegen
Fredi. (Und ein bisschen wegen Klara, die jetzt erst einmal ein halbes Jahr als
Aupair
in Paris leben würde, aber dann in Berlin studieren wollte.) Alles war möglich, und der Umstand, dass die »Möbelwelt Stiltfang
& Strube« sich nach wie vor über hübsche Jahresbilanzen freute, verschaffte mir in dieser Hinsicht einen gewissen
Spielraum.
»Ich lege einen Zehner in den Pott, wenn einer von euch reingeht!«, Fredi hielt den Zehnmarkschein hoch und schaute auffordernd
in die Runde.
»Kommt schon, Jungs, wer ist dabei?«
Sofort griff
Kracher
Kosslowsky sich mit der Hand in den Schritt und blökte: »Der Papa macht’s, ist doch klar!«
Wir grölten vor Vorfreude. Kracher Kosslowsky würde
wirklich
zu einer Nutte reingehen, das war sicher, denn er trug seinen Spitznamen nicht zu Unrecht. Peinlichkeiten aller Spielklassen
waren schon in der Schule seine Domänegewesen, er war unser Klassenclown von der ersten bis zur letzten Jahrgangsstufe. Gleichzeitig,
und das machte ihn besonders, war Kosslowsky auch unser Primus. Dieser trampelige, leicht adipöse Typ mit seinem derben, stets
verschorften Schädel und den kurz geraspelten Haaren verfügte über einen blitzschnellen Verstand. Es war eine Schande, dass
er ihn in Zukunft beim Verkauf von Krawatten und Seidenhemden verschleudern würde, doch andererseits hatte Kracher auch schon
während der Schulzeit seinen Ehrgeiz nur darauf verwandt, unseren Lehrern das Leben zur Hölle zu machen, ohne dabei seinen
Einserschnitt zu gefährden. Manchmal war Kracher uns richtig unheimlich.
»Los, Leute, packt die Kohle aus, dem Dieter seine Nille juckt!« Kracher hatte auch einen richtigen Vornamen, den außer ihm
selbst und seinen Eltern aber niemand benutzte.
»Aber wir suchen uns die Nutte aus, Kracher, und du hast kein Vetorecht!«
Kracher schien Fredis Einwurf nichts auszumachen. Frau war Frau, er war ja sonst auch nicht gerade in der Position, da feine
Unterscheidungen vorzunehmen.
»Sach’ ma, Dicker, hast du überhaupt schon mal?«, erkundigte sich nun Boymanns, einer unserer Schmalspurcasanovas. »Oder soll
ich dir erst eine Zeichnung machen?«
»Toyboy, ich hatte schon
Intercourse
, da warst du noch
inkontinent
, mein Lieber, und wenn du jetzt nach dem Unterschied suchst, frag mich vertrauensvoll nach einem Wörterbuch«, antwortete
Kracher wie aus der Pistole geschossen und hatte die Lacher mal wieder auf seiner Seite. Währenddessen leerten wir unsere
Taschen. Es dauerte nicht lange, bis wir 50 Mark zusammenhatten. Im Pulk schoben wir uns ein weiteres Mal über die »Hubertus« und blieben hin und wieder an einem Fenster
stehen, um zu verhandeln.
»Für 50 Mark kriegt unser Dicker aber eine Hochzeitsnacht!«, verlangte Fredi von einer älteren Hure, die mit ihrem Dutt auf dem Kopf
und einer Art Kittel, der an den richtigen Stellen große Textillücken aufwies, ein wenig so aussah, als ob sie sich vom Bauernmarkt
direkt in die Hubertusstraße begeben hätte. Sie schien interessiert.
»Och nee, Jungs, die muss aber jetzt wirklich nicht
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