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Der Minnesaenger

Titel: Der Minnesaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
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dann noch einen Ochsen hinzu, als Mechthild plötzlich einwilligte. Offenbar hatte sie Angst, den Bogen noch zu überspannen.
    »Du bist wirklich eine harte Nuss«, sagte der freie Bauer anerkennend, »aber das zeugt nur von Charakter. Ich hoffe, dass deine Tochter nach dir kommt.«
    »Warum sollten wir mit der Verlobung warten?«, fragte Mechthild. »Ein Herrenfest ist genau der richtige Anlass. Am Ostersonntag könnten wir...«
    »Nein!«, stieß Judith plötzlich hervor. Sie hatte bisher nur stumm gelauscht und ergriff nun zum ersten Mal das Wort. »Nicht zu Ostern, wenn überhaupt soll die Verlobung an Pfingsten bekanntgegeben werden. Gefeiert wird
die Ausgießung des heiligen Geistes und Gründung der Kirche. Pfingsten war schon immer mein Lieblingsfest!«
    Mechthild starrte die Tochter fassungslos an. »Wie kannst du es wagen, dich in Angelegenheiten zu mischen, die dich nichts angehen? Dankbar solltest du sein und in Demut schweigen, anstatt Forderungen zu stellen. Soll August jetzt denken, dass es dir an Gehorsam mangelt?«
    »Schon gut«, sagte der freie Bauer beschwichtigend. »Sie meint es bestimmt nur gut. Mir soll es recht sein. Jetzt muss ich aber los. Die Tiere müssen in der Frühe gemolken werden.«
    »Warte noch!«, sagte Mechthild. »Wenn du meine Tochter unberührt heimführen willst, solltest du etwas gegen den Schäfer unternehmen. Er stellt ihr schon seit mehreren Wochen nach. Mein Mann war bereits bei ihm, aber der Schäfer hat ihn nur ausgelacht.«
    »Stimmt das?«, fragte August das Mädchen.
    Statt eine Antwort zu geben, senkte Judith nur den Kopf.
    »Ich kümmere mich noch heute darum. Er wird dir nie wieder Ärger bereiten - darauf gebe ich dir mein Wort.«
    Nachdem der freie Bauer gegangen war, baute sich Mechthild vor der Tochter auf. »Seit wann traust du meinem Urteil nicht mehr? Macht es dir Spaß, mich so bloßzustellen? Ein paar saftige Maulschellen hast du dir verdient! Ich werde dir...«
    »Mutter, ich liebe August nicht«, fiel ihr Judith ins Wort.
    »Bist du toll? Minne spielt nur in den Liedern der Musikanten eine Rolle und hat rein gar nichts mit dem Leben zu tun. Wenn überhaupt muss die Ehe die Liebe stiften und nicht umgekehrt.«
    »Das sehe ich anders.«

    »Außerdem kann August dir Schutz bieten. Ab morgen macht der Schäfer einen weiten Bogen um dich - darauf gehe ich jede Wette ein.«
    »Aber das alleine ist doch kein hinreichender Grund, um eine Ehe einzugehen, die bis ans Ende des Lebens...« Sie hatte noch nicht ausgesprochen, als die Mutter ihr eine heftige Ohrfeige gab.
    »Du hast mir zu gehorchen und ansonsten den Mund zu halten. Hast du das jetzt begriffen?«
    Eine Weile stand Judith nur da und rieb sich die Wange. Dann stürzte sie aus dem Haus und kletterte den Hang hinauf. Sie zwängte sich durch Buschwerk, setzte sich auf einen Ast und schaute über das Hexental. Trotz der Ohrfeige und der scharfen Worte versiegten ihre Tränen schnell. Sie lächelte, denn sie war so geistesgegenwärtig gewesen, dass ihr ein Ausweg eingefallen war. Wenn sie die rechtsverbindliche Verlobung abgelehnt hätte, hätte die Mutter den Termin einfach für Ostern festgelegt. Jetzt blieb ihr bis Pfingsten Zeit, um in Ruhe mit Hartmann zu sprechen. Sie mussten ja nicht sofort heiraten, sie konnten warten, bis der Knabe seine Ausbildung abgeschlossen hatte. Sein älterer Bruder Heinrich würde die Besitztümer erben, damit würde er nicht reich sein, aber er konnte Lesen und Schreiben, und das waren Fähigkeiten, die in den Städten an Bedeutung gewannen. Frei wie ein Falke bin ich, dachte sie. Wenn Mutter sich nicht mit Hartmann begnügt, fliehe ich mit ihm. Er wird unseren Lebensunterhalt schon bestreiten. Ach, wenn er doch schon hier wäre...

6.
    Der Abt von Sankt Georgen setzte sich auf den Schulmeisterstuhl. Links und rechts von ihm stellten sich Jean de Reims und der Hilfslehrer auf. Etwas ging vor, das spürten die Zöglinge. Sie waren bereit, jeden Verstoß zu gestehen, wenn ihnen nur die Geißel erspart bliebe. Nur bei schlimmsten Verfehlungen kam sie zum Einsatz. In den langen Leder schnüren steckten Eisenkugeln, die vom Blut rostbraun angelaufen waren. Erst vor einem halben Jahr war ein Schüler, der im Schatten der Klostermauer mit einer Bettlerin geschlafen hatte und dabei erwischt worden war, an den tiefen Riss- und Platzwunden gestorben.
    »Hat einer von euch eine Verfehlung zu beichten?«, fragte der Abt.
    Ein Knabe sprang auf. »Ich, Vater!« Die meisten Schüler

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