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Der Minnesaenger

Titel: Der Minnesaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
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sehen könnt, versichere ich euch, dass ihre Seele nicht gestorben ist. Sie verlässt stets ihren früheren Wohnsitz, um von einem anderen Hause empfangen zu werden. Nascentes morimur finisque ab origine pendet - Bereits auf dem Wege zum Sterben werden wir geboren, und das Ende hängt am Beginn. - Bevor ihre sterblichen Überreste zur Familiengruft überführt werden, zelebriere ich eine Totenmesse. Ihr alle seid eingeladen, um ihr die letzte Ehre zu erweisen. Geht jetzt zurück an eure Arbeit.«
    Die Versammlung löste sich auf. Bruder Stephan hatte
Tag und Nacht am Krankenlager der Herzogin gesessen. Sein Gesicht war grau und eingefallen und die sonst so flinken Äuglein wirkten entzündet.
    »Habt Ihr schon etwas gegessen, Vater?«, fragte Hartmann.
    »Mein Gehilfe!«, sagte Bruder Stephan. »Es ist so schön, dich zu sehen. Hast du dich von deiner Verletzung erholt?«
    »Dank der vielen Arzneien, die Ihr mir zukommen ließet, geht es mir schon viel besser.«
    »Das ist gut, mein Sohn. Und nun sag mir, was sich in der Zwischenzeit in unserer Kanzlei zugetragen hat. Sind drängende Nachrichten eingegangen?«
    »Nur Danksagungen für die Ausrichtung des Hoffestes.«
    »Und womit hast du dich während meiner Abwesenheit beschäftigt?«
    »Ich habe eine Aufstellung der Ausgaben angefertigt, die für das Hoffest getätigt wurden.«
    »Bestimmt ist sie dir gelungen. Ich will gleich mal nachsehen. Ah, und die Weiterführung der Genealogia Zaringo rum wartet auf mich. Weißt du eigentlich, dass Konrad, der Vater unseres Herzogs, den Reichsfürstenstand für seine Nachkommen gerettet hat? Man könnte auch sagen, dass er ihn aufs Neue begründet hat, denn...«
    In diesem Augenblick stürmte die Dame Johanna die Freitreppe hinunter. Sie blieb kurz bei den Männern stehen und heftete ihren Blick auf Hartmann. Ihre Lippen wirkten blutleer, ihre Wangen zuckten. »Meine Herrin ist tot! SIE IST TOT«, rief Johanna und rannte weiter.
    »Die arme Frau«, murmelte Bruder Stephan. »Schon als kleines Mädchen wurde sie in die Obhut der Herzogin gegeben. Sie trifft der Verlust am härtesten.«

    »In diesem Zustand sollte sie besser nicht alleine bleiben.«
    »Da hast du Recht. Geh ihr nur nach. Du kennst das Wort Gottes und kannst ihr Trost spenden.«
    Hartmann verlor keine Zeit. Sogleich lief er los, passierte den Schatten desTores und beschirmte die Augen gegen das Sonnenlicht. Ein Fuhrwerk polterte die Schlossstraße hinauf. Auf dem Bock saß ein Zimmermann, mehrere Holzteile waren mit Stricken an die Seitenwände gebunden. Dahinter erblickte er das himmelblaue Kleid Johannas. Das lange, rotblonde Haar hüpfte auf ihrem Rücken auf und ab. Bei der Brücke holte er sie ein. Er wusste nicht, ob sie ihn bemerkt hatte, denn ihr Blick war stur geradeaus gerichtet. Die beiden liefen über die Flussauen und kämpften sich eine leichte Steigung hinauf. Der Pfad nach Aue wurde von einem dichten Blätterdach beschirmt, in das sich die ersten Farben des Herbstes mischten. Die schwarze Erde bot einen festen Tritt, aber Johanna schlug sich plötzlich durch das Dickicht in den Wald. Überall lagen bemooste Äste; riesige Spinnweben brachen die Sonnenstrahlen. Die Steigung zum Hügelkamm war beschwerlich. Auf dem Grat legte Hartmann eine Pause ein, drehte sich zurück und schöpfte nach Atem. In seinem Rücken kletterte Johanna bereits in den Abgrund. Die Brust gegen die Felswand geneigt tasteten ihre Hände und Füße nach einem festen Halt.
    »Willst du mir nicht sagen, wo du hinwillst?«, rief Hartmann. »Johanna, der Tod der Herzogin tut mir unendlich leid, aber da unten gibt es Bären und Wölfe! So warte doch auf mich!«
    Hartmann machte sich ebenfalls an den Abstieg. Seine
Füße tasteten nach Vorsprüngen, seine Finger gruben sich in getrocknetes Mooskraut. Die frische Narbe spannte sich über den Muskeln, aber bisher hatte sie der Zerreißprobe standgehalten. Er kletterte an Johanna vorbei, sprang das letzte Stück hinab und nahm sie in Empfang. Hier im Schatten war es spürbar kühler. Eine Felsplatte mit vielen Kratern ging in Waldboden über. Plötzlich entdeckte er eine Feuerstelle. »Sieh nur«, sagte er und griff nach einem Stück Holzkohle. Bestenfalls hatte hier ein Eremit gelagert, schlimmstenfalls eine Schar Gesetzloser. Wenn sie sich hier versteckt hielten, würden sie bei einem Zusammentreffen keine Gnade haben. Als er den Eingang einer Höhle entdeckte, ging er mit gezücktem Schwert darauf zu. »Ist dort jemand?«, rief er

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