Der Minnesaenger
und reite gegen mich an.« Er trat mit den Beinen aus und jaulte gleichzeitig vor Schmerz. Hartmann befreite sich aus dem Griff. Er hatte dem Schwarzen das Schwert aus der Hand geschlagen. Reichte das nicht zum Sieg? Wenn er gewollt hätte, hätte er ihn töten können. Nun gut, der Schwarze wollte weiterkämpfen, dann sollte es so sein.
»Wo ist mein Pferd?« Burkhard würde es wissen, sicher hatte er es eingefangen. »Burkhard!« Orientierungslos torkelte Hartmann nach links, dann nach rechts. Ein heftiger Schmerz erfasste ihn und wie in einem Strudel zog es ihm die Füße weg.
Als er die Augen wieder aufschlug, lag er auf dem Rücken und hielt die Arme von sich gestreckt. Vor das strahlende Blau des Himmels schoben sich Gesichter und sahen auf ihn herab.
»Macht Platz da! Los, aus dem Weg!«, schrie Burkhard und kniete neben ihm nieder. Er presste eine Hand auf die Wunde, riss mit den Zähnen einen langen Streifen aus seiner Tunika und trat mit den Füßen aus. »Wollt ihr uns denn zertrampeln? Hier gibt es nichts zu sehen. Macht, dass ihr weiterkommt! Bruder Stephan!«, rief er. »Bruder Stephan, kommt schnell. Ich kann die Blutung nicht stoppen. Ich brauche Eure Hilfe.«
Hartmann spürte, wie seine Augen überliefen. Er wollte nicht weinen, aber er konnte die Tränen nicht zurückhalten.
»Beruhige dich«, sagte Burkhard. »Alles wird gut. Gleich kommt Bruder Stephan und... He, Hartmann... Hartmann, bleib bei mir!...«
11.
Judith streifte durch die Wälder, die ihr von Kindesbeinen an vertraut waren. Obwohl sie ihren Häschern nur um Haaresbreite entkommen war, fühlte sie sich nun vollkommen frei. Ein Rehkitz zwängte sich unter einem Busch hindurch und bog den Hals in ihre Richtung. Das Tier war so anmutig, dass ihr vor Rührung Tränen in die Augen stiegen. Ja, die Natur mutete wie ein wundervolles Versprechen an.
Judith war sich darüber im Klaren, dass ihr Leben an einen Wendepunkt gelangt war. Indem sie sich Augusts ausdrücklichen Anweisungen widersetzt hatte, hatte sie ihn vor seinen Spießgesellen lächerlich gemacht. Sie war davon überzeugt, dass ihr Ehemann alles dransetzen würde, um Bengt und den anderen zu zeigen, wie viel Macht er noch über sie besaß - und das konnte nur bedeuten, dass Schmerz, Erniedrigung und vielleicht sogar der Tod sie erwarteten, wenn sie sich zurück in seine Obhut begab. Natürlich könnte sie fliehen, aber dann stände sie vor den gleichen Schwierigkeiten wie vor ihrer Hochzeit. An jedem Ort der Welt gäbe es einen Schäfer, der ihr früher oder später nachstellen würde. Auch in der Ferne würde sie sich einem Mann anvertrauen müssen, der sie vor den Zudringlichkeiten beschützen und sein wahres Gesicht erst mit den Jahren zeigen würde.
Nein, es machte keinen Sinn, irgendwo neu anzufangen.
Außerdem wollte sie hierbleiben. In Aue lebten ihre Eltern und Verwandten. Die Bauern vertrauten auf ihre Fähigkeiten, und Agnes war nicht nur ein beeindruckender Mensch, sondern auch eine kluge Frau, von der sie etwas lernen konnte. Wenn sie keine Angst vor Augusts Reaktion gehabt hätte, wäre sie schon vor Monaten zur Adlerburg gegangen, um die ersten Lektionen in der Heilkräuterkunde zu empfangen. Sie wollte endlich ihre eigenen Vorstellungen verwirklichen und sich nicht länger tyrannisieren lassen. Ja, sie war endlich bereit, für ihre Ziele zu kämpfen und die Konsequenzen zu tragen.
Als sie den kleinen Wasserfall erreichte, stand die Sonne schon weit im Abendland. Trotzdem würde ihr noch genügend Zeit bleiben, um alle Vorbereitungen zu treffen. Vollkommen ruhig entledigte sie sich ihres Wollumhangs. Über rutschige Steine tastete sie sich zur Mitte des Bassins vor, wo ein armdicker Wasserstrahl auf ihren Kopf und die Schultern prasselte. Mehrmals wrang sie ihr Haar aus, dann ließ sie sich von der Strömung treiben und schrubbte den Dreck von ihrem Körper. Als sie aus dem Flussbecken kletterte, prickelte ihre Haut angenehm. Den passenden Stein fand sie am Fuße einer Buche, zwischen duftenden Gräsern und einigen Sumpfblumen. Er war handtellergroß, flach und verfügte über eine poröse Oberfläche.
Der Himmel färbte sich bereits goldrosa, so dass sie sogleich begann, kräftig über ihre Haut zu reiben, bis sie überall aufgeraut war. Unweit der Wasserkante machte sie eine Stelle aus, wo der Schlamm von einer satten schwarzen Färbung war. Während sie ihn mit beiden Händen auf ihrem Leib verteilte, wurde ihr klar, warum ihre Ahnen die Gesichter bemalt
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