Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Minus-Mann

Der Minus-Mann

Titel: Der Minus-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Sobota
Vom Netzwerk:
nein«, sage ich. Im Oktober ist Verhandlung.
    Von siebzigtausend Schilling Betrug und Veruntreuungssumme bleiben knapp viertausend über. Aus den Körperverletzungen und Erpressungen wird ein Trunkenheitsdelikt. Urteil: ein Jahr Kerker.
    Stella kommt jede Woche zu Besuch, dazwischen ihre Briefe. Sie glaubt, hofft und wartet.
    ›Du bist mit diesem Leben fertig. Du bist nicht mehr der permanente Gefangene, der nur mehr in der Zwangsgemeinschaft Anerkennung findet‹, steht da.
    Zwanzig Tage Einzelhaft in einer Betonzelle im Parterre E. Begründung: Beamtenbeleidigung.
    Bei einem Zellenfilz werfen Beamte die Brotrationen auf den Boden. »Genügt es euch nicht, daß ihr uns bis in den Arsch hineinstiert, ihr Dreckhunde«, sage ich.
    In der Absonderung gibt es keine Besuchserlaubnis.
    »Wie kannst du mich umsonst warten lassen? Es war furchtbar, als sie mir gesagt haben, du seist abgesondert. Bitte, du mußt dich beherrschen«, sagt Stella flatternd, und ich nicke in ihr verzagtes Lächeln.
    Wir zählen die letzten Tage. Am sechzehnten Februar werde ich mit fünfundfünfzig Groschen entlassen.
    Stella wartet beim Tor. Sie führt mich zum Auto. Rosen liegen am Sitz, und ein scheues Lächeln ist in ihren Augen.
    Ich habe beide Hände um den Haltegriff am Armaturenbrett gelegt und starre in den Verkehr. Stella ist da, neben mir, und wir fahren zu ihr nach Hause. Eine Ampel zeigt Rot, und sie streift über meinen Ärmel.
    »Was ist in der Schachtel?« fragt sie, als ich aussteige.
    »Deine Briefe, alle … und meine Zahnbürste«, sage ich, und dann streicht sie etwas aus dem Auge.
    »Du willst baden?« fragt sie. Und läßt schon Wasser in die Wanne laufen.
    »Ich muß«, sage ich, und dann ziehe ich mich aus. Ich spür jeden ihrer Blicke, während ich die Kleidungsstücke ablege.
    Dann liege ich in der Wanne. Das Wasser duftet. Sie stellt eine Schale Kaffee in meine Griffnähe.
    Eine ungeheure Spannung fällt von mir ab, die Fäuste sind offen, und mein Blick hält ihren fest. Langsam reibe ich die Haut trocken. Sie liegt auf meinen Armen, dann, nackt, am Bett, knien wir einander gegenüber. Ein leiser Schrei, ein Schluchzen, Hände tasten über Haut … jetzt ist sie Ziel und Beginn, Urplasma und Idee; ist alles, ist Sehnsucht und Blut und Körper, Sekret und Hauch, Glück und Angst und Tag und Stern, Nacht und Hoffnung, Fantasie, Illusionen, Glaube, Wärme und Eis, meine Sprache, mein Gehirn, ist Zwischenraum und Fülle und Erfüllung.
    Mein Stöhnen an ihrem Hals, der Grube über dem Schlüsselbein, in ihre Haare, an der Schläfe, zwischen den Lippen, über Brust und Bauch und Lenden, zwischen die Schenkel, die Schamlippen … dann bin ich in ihr … Ich kann dich nicht verlieren aus mir. Nicht durch den Schrei, den Urin, den Kot, die Blutung, die Ejakulation, den Gehirnaustritt, das Atmen, das Kotzen, das Weinen, nicht wenn ich mich zerstückeln ließe, nie, nie.
    Da ist Vertrautheit, ihr schlafender Körper, zur Mauer gedreht. Ich stütze mich auf den Ellbogen, drehe sie zu mir. Das Gesicht von den Haaren verdeckt, schlaflocker gleitet ihre Hand in die meine, Finger streicheln, ein Handrücken berührt.
     
    Ein Mann nimmt einen Telefonhörer, wählt eine Nummer und steht in meinem Leben.
    »Was willst du?« frage ich.
    »Da sind noch einige Dinge zu klären«, sagt er.
    »Da ist gar nichts zu klären. Ich will nicht mehr«, sage ich und lege auf.
    Er ruft wieder an und wieder. Stella ist nervös und ängstlich.
    »Fahren wir weg, bitte«, sagt sie.
    »Wohin?« frage ich.
    »In den Frühling. An die Adria, in einen kleinen Ort. Wir werden etwas finden, ich weiß es. Wir leben doch in der ›Glocke‹. Es kann nichts geschehen«, sagt sie und ist befreit von der täglichen Drohung, die aus meiner Vergangenheit kommt.
    Einige Tage später beladen wir ihr Auto und fahren.
    »Deine Augen müssen wieder lernen, einen weiten Horizont zu sehen und Nuancen, Farben und Licht. Es ist soviel an Schönem da«, sagt sie. Wir finden eine Wohnung in einem kleinen Ort, im Triestiner Karst, nahe dem Meer.
    Der Wind bewegt die dünnen Bäume. Eine Stunde geht vom Zifferblatt. Das Gras hat silberne Ränder an den Halmen. Sie dreht ihr Gesicht in die helle Wärme.
    »Du bist nachdenklich«, sagt sie.
    »Sind wir nicht sehr zerbrechlich«, sage ich leise.
    »Wir sind nicht zerbrechlich. Wir sind arrogant, leben an der Zeit vorbei, oder ganz dicht daran, jeden einzelnen dieser Tage«, sagt Stella.
    »Die Erde ist warm, der Frühling

Weitere Kostenlose Bücher