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Der Minus-Mann

Der Minus-Mann

Titel: Der Minus-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Sobota
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und verzweifelt. Ich warte und hoffe, daß mich etwas dem Wunder dieses Gartens näherbringt. Ich weiß nicht, wie ich den Garten erleben werde, in mir sind nur der Wunsch und die Gewißheit einer quälenden Wichtigkeit. Ich hasse den gläsernen Käfig. Ich kann in dieser gläsernen Haube nicht mehr leben. Ich will hinaus, will wissen, wie die goldfarbenen Früchte schmecken, die violetten Blumen duften, wohin der Pfad führt, wo nie jemand gegangen ist.
    Ich vergesse die Zeit, in der das Glashaus für mich das äußerste Glück war. Rastlos gehe ich zwischen den lichten Wänden, voller Ungeduld gegen die reglose Welt, die mich umgibt, verfluche die Schattenlosigkeit und Stille meines Zwischenlebens, die Einsamkeit und Unabänderlichkeit meines Nichtseins.
    Ich schlage und trete gegen die gläsernen Wände, glitzernde Sprünge laufen durch die Flächen. Die Unsicherheit meines Bestehens verleugnend, habe ich mich meiner Sicherheit begeben. Das Glashaus zerbricht und ich mit ihm.
     
    Im Erwachen drücke ich Stellas Körper an mich, reibe mir den Tod aus den Augen, greife nach einer Zigarette.
    »Der irdische Ballast hat mich zerstört, der Gehirnkot«, sage ich und erzähle den Traum.
    »Und wird diese Zerstörung das Ende von Gewalt und Brutalität in deinem Leben sein, der Beweis für den ›anderen‹ Beginn?«, sagt sie und legt eng die Arme um meinen Hals.
    »Ich weiß es nicht«, sage ich und drücke die Zigarette aus.
    »Wird es ›uns‹ am Leben lassen?« fragt sie.
    »Es ist kein Zerstören mit Warnleuchten und erkennbar. Es geschieht jetzt, oder immer, in jeder unserer Situationen. Es ist ebenso wirksam, wenn ich weggehe, wie in den Berührungen«, sage ich.
    Ein Regenstoß klatscht gegen die Fensterscheiben. Ich schiebe die Decke zur Seite und löse ihre Arme.
    »Und warum versuchst du nicht, es aufzuschreiben?« sagt sie und richtet das Polster.
    »Weil mir der Abstand fehlt. Ich möchte leidenschaftslos darüber schreiben. Ich will nicht, daß der Haß durchschlägt. Es müßte so formuliert sein, wie einer von ›drüben‹ so etwas schreiben würde. Ich kann das nicht.
    Ich trage den Kerker schon zu lange Zeit in mir, wahrscheinlich seit Anfang an. Meine Mutter hat mich deponiert, bei den Großeltern, beide um die Achtzig. Dann waren da noch Onkel und Tante, als Zieheltern. Er fünfundsiebzig, sie fünfzig. Es war ein schlimmes Hin und Her, jeder der vier wollte Alleinerzieher sein. Sie fingen an, mich gegeneinander auszuspielen. Wenn mir der eine etwas erlaubte, verbot es der andere und umgekehrt. So wurde ich doppelt und vierfach verwöhnt und doppelt und vierfach bestraft. Großvater hielt sich weitgehend heraus. Wenn mich eine der Frauen schlug oder in den Keller sperrte, wagte er oft nicht einzugreifen. Die Männer waren gerechter, die Frauen manchmal grausam, oft habe ich sie gehaßt und mich nach meinen Eltern gesehnt, aber Mutter lebte abwechselnd an den Orten, wo mein Vater im Gefängnis war. 1949 holten sie mich dann zu sich. Jetzt begann das Familienleben, aber auch wieder mit Drohungen und Schlägen.
    Ich kam in die Schule, und die Probleme begannen dort. Dann kamen die Heime und dann das Gefängnis, immer und immer wieder. Der Graben zwischen mir und dem Leben wurde immer breiter und tiefer. Eine Zeitlang war ich bereit gewesen zu lernen, ich bin es heute noch, aber dazwischen liegen achtzehn Jahre, und ich bin keinen Schritt weitergekommen.
    Jetzt bin ich fast dreißig und Lehrling, wie am ersten Tag. Jetzt nehme ich von dir. Immer. Du bist ständiges Plus, ich pausenlos Minus. Vielleicht bin ich da, wenn ich dich begehre, aber dann kann ich Denken und Begehren nicht trennen. Der Schwanz regiert. Wir werden uns totvögeln«, sage ich.
    »Und ich?« fragt sie.
    »Dich berührt es nicht so sehr. Für dich ist das Bett Bestandteil. Für mich ist dein Körper der Zugang zu allem, zu den Empfindungen, zur Offenheit. – Ich versuche dich über die Fut zu bekommen. Andere Wege kannte ich doch nie«, sage ich.
    »Aber du kennst sie doch jetzt«, sagt sie aufmerksam.
    »Kenne ich sie, die Lösung? Ich hab’ Angst vor Dingen, die sich nicht mit Schwanz und Faust zwingen lassen. Es war zu lange selbstverständlich, erst mal zuzuschlagen und dann zu überlegen, wenn überhaupt, oder manchmal zu bedauern. Es ist die einfachste, die gültige, die Zuchthauslösung. Wer sie bis heute nicht akzeptieren wollte, dem schlug ich, oder er mir, die Zähne ein. Das direkte Erfolgserlebnis. Warum zerquäle ich

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