Der Minus-Mann
dich mit einer Eifersucht, die durch nichts begründet ist? Warum sind alle deine Bekannten und Freunde verschwunden? Warum?« sage ich und schütte Rotwein in ein Glas.
»Weil du alles mit dir identifizierst, dich in allem angegriffen, gefordert siehst. Niemand fordert dich heraus, niemand bedroht dich mehr«, sagt sie. Ich schaue durch das Glas. Regen hinter dem Wein. Das Grau vom Rand wischt ins Rot.
»Trinken und nur so daherreden. Eines Tages wirst du nicht mehr wollen oder können und weggehen. Ich würde dich …«, sage ich und zünde mir eine Zigarette an.
»Du würdest mich töten«, unterbricht sie mich ruhig.
»Du würdest mich nicht lebendiger Beweis deines Versagens bleiben lassen. Du würdest mich töten.«
Einen Monat später ist Stella nicht mehr da. »Du hast viel Arbeit vor dir«, sagte sie. Ich sah hinter dem Auto her, dann ging ich in das neu gemietete Zimmer, auf die Terrasse, zehn Meter über dem Hafen von Duino, und versuchte zu erinnern, mit dem Rotwein, der Grappa, dem Whisky.
Mittag, Stunde des verzeichnenden Lichtes. Wie polierter Stahl ist das Meer. Dutzende Grautöne prellen gegen das Auge, Silber an den Felshängen dem Wasser zu. Das Licht überdeckt die Farben. Die Sonne ist maskulin, harte, gestanzte Schattenzonen neben der Glut.
Ich schaue leer zur Wasserfläche. Gedankenfetzen sind sporadisch bewußt. Die Bucht von Duino, aus dem Gitterkäfig ans Meer. Die Eskalation der Farbspirale, das ›graue Haus‹ – das Meer im steilen Winkel zur Sonne. Ein Fischer geht unten am Kai. Er prüft die zum Trocknen ausgelegten Netze. Dann setzt er sich auf die Stufen des kleinen Leuchtturms und stopft seine Pfeife.
Der Schweiß sickert in die Augenbrauen. Die Hitze lähmt jedes Tun. Der Hafenpolizist schläft im Polizeiboot seit dem frühen Morgen. Er hat den Kopf in die Hand gestützt und seit Stunden seine Lage nicht verändert. Die dicke Signora vom Restaurant nebenan ist über den Platz gegangen. Ich schmiere Notizen auf ein Blatt. Ein Bericht aus einem der Gefängnisse. Die Sonne hat mich dunkel gebrannt.
Ich trinke Wein, die Zeit ist mir Last. Ich kann nicht unterscheiden zwischen erzwungener und freiwilliger Einsamkeit. »Du mußt einmal im Leben ohne Zwang mit dir allein sein«, sagte Stella. Später sitze ich im Restaurant. Die Signora lächelt und bringt Muschelsalat und Calamari, dazu eine Flasche Wein – von ihrem Vetter aus Sizilien –, braun und süß. Stolz erzählt sie von dem Weingut und dem namenlosen Eigenbau.
Es ist früher Abend. Ich gehe zum Felsen. Überhängend, wuchtig steigt er aus dem Wasser. Das leckt zu meinen Füßen, grau im Schatten und seifig. Die Steine sind wie Knochenzacken. Die Sonne verbrennt den Felsen in schlingender Umarmung. Sie versinkt in dem Türkisbrei hinter dem kalkigen, narbigen Gestein.
Schreie und Gemurmel und grelles Gelächter. Ich spucke auf dünnes, muffiges Moos, laufe gegen die Straße, die Windungen. Serpentinen und Abgründe in jauchzender Schwärze. Keine Erinnerung zum Augenblick, nichts Haltbares, Begreifliches, Begrenztes. Summen und Tosen hinter der Flanke des Berges und die letzten Strahlen in schrägem Schein, in unglaubwürdigem Dämmer.
Stella ist weggefahren, und ich hocke in der Mitte einer Ansichtskartenlandschaft. Der Kitsch verwischt in melancholischer Trunkenheit. Ich hole eine Flasche Whisky auf die Terrasse, schalte das Tonband ein. Samba pa Ti, Musik, und unter die Haut wühlen. Nachdenklich und trübe sehe ich den Rauch der Zigarette ins Mondlicht steigen. Die Frau, die ich nicht habe halten können – die See vor mir, in kalter Glätte, der Wasserakkord.
Ich nehme ein Hemd aus dem Kasten, stopfe es in die Hose. Die Zigarette im Mund, schlendere ich langsam vom Hafen zum Ort hinüber. Einige junge Männer in blauer Uniform kommen mir entgegen. Sie gestikulieren und lachen. Am Gürtel tragen sie Pistolen. Es sind Polizeischüler aus der nahen Kaserne. Wenige Menschen sind zu sehen. Um diese Zeit gibt es noch keine Touristen. ›La stiva‹ heißt das Dancing an der steil abfallenden, schmalen Straße. Es ist nur wenige Schritte von dem Haus, in dem ich wohne. Mir graut vor der Leere in mir. Durch die Halle über breite Treppen in den Keller. Rechts die Bar, der Keeper dahinter, gelockt, schwarzhaarig, schön.
Ich trinke Whisky, und er glaubt, mich unterhalten zu müssen. Er versucht es dann auch auf Englisch und Französisch. Ich gebe keine Antwort. Ich nehme mein Glas und setze mich in einen tiefen
Weitere Kostenlose Bücher