Der Minus-Mann
eingeladen. Ob es sein wird, wie wir es gewünscht haben?« sage ich.
Ich gehe aus der Doline, warte in der steinigen Wiese. Das schräge Licht deckt altes Gold über den Hang. Sie kommt nach, und der Tagesrest verbrennt in blutigem Bogen.
Abends fahre ich zum Meer. Sie ist kühl, konzentriert, vertieft in ein Buch. Über große, kantige Steinblöcke steige ich zum Wasser. Faulig und fremd ist die glatte Fläche. Das Licht ist fort. Leuchttürme gegenüber stoßen periodisch grüne Pfeile gegen das Rund. Lichtpusteln am Körper der Nacht, gleißender Eiter aus winzigen, hellen Wunden. Kosmische Scheiße, blinkend am schwarzen, tiefen Dach über mir, Geplätscher irdischer Pisse und ich, eine vom Mond bestrahlte, müde Zeitbakterie.
Der Tag ist weg. Gesehen, jetzt der Abend; vom Meer fahre ich zurück nach Visogliano. ›Trattoria Lora‹ – Terrano, schwarzer, erdiger Karstwein.
Die alten Männer im Schankraum, grobgesichtig, müde und schweigend. Ein langer Sonntag des Trinkens liegt hinter ihnen. Harte, schwielige Hände an bauchigen Gläsern. Einer spricht, zerhackt, sparsam. Das Geld fließt an der Küste. Hier, wenige Kilometer davon ist das Land arm, die Leute auch, selbst der Klang scheint aus der Sprache genommen. Ernste Augen schauen aus furchigen, dunklen Gesichtern. Bedrückt zahle ich. Eine alte Frau lehnt bei der Türe an der Mauer.
»Buona sera, Signor«, sagt sie tonlos.
»Buona notte«, sage ich und steige ins Auto.
»Du schreibst nicht?«, sagt Stella.
»Nein, ich gehe schlafen«, sage ich, hebe sie aus dem Sessel und trage sie ins Schlafzimmer. Ich schiebe ihren Rock hoch und lege den Mund zwischen ihre Beine. Unsere Nägel krallen in Fleisch, die Zähne fetzen Worte aus den Kehlen. Der Mond bricht in Stücke. Aus seinen Scherben sickert Sehnsucht nach ihr – neben ihr –, in ihr, böse und quälend. Ihr Haar ist in meinem Gesicht. Entfernt liegen wir gemeinsam. Ihre Haut bleibt bis zum Rande des Schlafes. Was ist es? Was sollte es sein?
Du bist hier, in mir, mit greifenden Augen, bist das Echo auf alle Dinge des Tages. In dir muß auch die Antwort sein. Rede! Ich will, muß es hören! Sag mir die Richtung des Wunsches, und ich werde ihm nachgehen. Reiß mir den Blick auf! Rede in meine Augen. Sei mir ich! Bleib in mir, wenn ich von mir fort bin! Auf der Suche nach den gestrigen Eingeweiden. Verurteile nicht die Scheiße meines Herzens, sie ist Lebensscheiße. Fragwürdiges Existenzelixier. Glaube an mich! Rieche mit dem Verstand!
Konfrontation zwischen Zelle und Liebe und Meer. – Friß mich in dein Denken, sei meine unwiderrufliche Fut, meine Klitoris, mein Vibrieren und Flattern. Sei mein Gespräch mit mir und die Brücke nach der anderen Seite, zu den saftigen Wiesen, wo Menschen weiden.
Kralle dich in meine Stimmbänder, in meine Seele. Habe Angst um mich! Liebe mich, liebe mich; krank, atemlos, wie ich es tu!
Du schläfst jetzt. Spinnweben liegen über uns; aus stählernen Drähten zwischen dir und mir.
Später dann der Traum.
Ich bin im Glashaus. Der Raum, fünf Schritte in der Länge, in der Breite. Mit ausgestreckter Hand kann ich die Decke erreichen. Tisch, Bett, Stuhl, jeder Gegenstand ist gläsern. Auch ich bin durchsichtig bis zu Blutbahnen und Organen, Knochen, Sehnen, Nerven. Dahinter ist ein Garten, darunter Gras, über mir der Himmel. Keine Öffnung ist in der gläsernen Umfriedung, trotzdem kann ich atmen. Spiegelnde Lappen, meine Lungen, heben und senken sich gleichmäßig. Bei Dunkelheit ist das einzige Licht das schwache Glimmen zahlloser Sterne. In hellen Mondnächten lese ich lange in gläsernen Büchern, bis die Müdigkeit meine Augen verschließt. Während ich schlafe, bringt man mir gläsernes Essen und klare Flüssigkeit.
Am Morgen, wenn ich im zaghaften Dämmer erwache, esse ich und trinke und versinke in zeitloser Bewunderung des Gartens, der im Licht des werdenden Tages in zartestem Grün, gehauchtem Blau, erahntem Rot und schweigendem Schwarz aus den Schatten der Nacht gelöst zu leuchten beginnt. Viele, gleichmäßig fließende Tage verbringe ich im Glashaus. Ich empfinde die Zerbrechlichkeit meiner Existenz, doch flößt mir dies keine Sorge, keine Angst ein.
Dann entsteht in mir der Wunsch, das gläserne Heim zu verlassen und den Garten zu betreten. Ich will den Wind, der Blüten und Blätter bewegt, spüren und die Früchte der Bäume kosten. Die Sehnsucht wächst in all den Tagen. Das Gesicht gegen die gläsernen Wände gelegt, bin ich traurig
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