Der Minus-Mann
zuhöre noch hinschaue.
»Jo, oba du muaßt des mochn, sunst krieagst am Obend ka Zubuß«, sagt er und schaut mich mit blindgearbeiteten Augen an. Er hat achtzehn Jahre, sitzt davon bereits vierzehn. Als man ihn einsperrte, war ich acht Jahre alt.
»Schon gut, aber ich scheiß’ auf die Zubuße«, sage ich.
»Daun schreibt da Chef a Mödung wegn Oarbeitsvaweigarung und du gehst in Tiafling«, sagt er erstaunt. Er hat immer gearbeitet. Abends nimmt er sich Säcke mit auf die Schlafzelle. Er arbeitet Samstag und Sonntag. Vor fünf Jahren hat er das letzte Buch gelesen. Er verdient etwa zweihundertfünfzig Schilling im Monat. Um hundertfünfzig kann er einkaufen. Sein Rücken ist krumm. Sein Magen ist kaputt, er kotzt häufig Blut. Die Augen sind leer. Seichte, gleichfarbige Gruben. Seine Bewegungen, schleichend und leise, erschöpfen sich im Notwendigen für Hofgang und Arbeit. Er ist eine wandelnde Leiche. Zum Arzt geht er nicht. Er hat Angst. Er möchte seine Entlassung erleben. »Nua ohne Auffoin üba die Rundn kumma. Ins Spitoi geh i net. Bei mia woa ana auf da Zön, der is z’Mittog ins Spitoi kumma, und auf d’Nacht hot a de Potschn aufdraht; na, na, bis zum Hamgeh dapock i des scho no«, sagt er. In seinem Gesicht stapelt sich Pore an Pore zu einem verzerrten Lächeln. Augenblicke später ist er wieder über die Arbeit gebeugt.
Abends quillt die Scheiße in mich. Gegen die Gitter gewandt,
stehe ich am Fenster. Die Zeit ist ein sattes Schwein. Eine müde Spinne. Die Landschaft zum Berg hin verfällt in schmutzigem Gelb und Grau. Hinter mir kichern die Schwulen. Walter liest. Siegel hockt in der Ecke. Ein dümmliches Grinsen um die wulstigen Lippen. Ich lege die Hände an die Augen. Später flüchte ich in ein Kartenspiel.
Matt, müde, klebrig der Morgen im gelbweißen Glühlicht der Vierzig-Watt-Birne. Helles Spüllicht zum Frühstück. Leere Gesichter am Tisch, auch die Schwulen schweigen.
Breiige Dämmerung in der Arbeitszelle. Das hohle Gesicht des Alten. Säcke, Staub und Leim.
An einem Nachmittag kommt der Untersuchungsrichter in die Anstalt. »Sie haben den Gefangenen N. mit einem Messer verletzt«, sagt er. Ein rundes, wichtiges Gesicht, laute Stimme, gepunktete Krawatte. Ein Mädchen sitzt an der Schreibmaschine. Einen Meter von mir. Schmales, braunes Gesicht, helle Augen. Sie sieht auf das Blatt Papier in der Schreibmaschine. Ein sandfarbenes Kleid, runde Brüste. Vielleicht ist sie schön. Ich weiß es nicht mehr. Ihre Hände, sie sollten mich berühren, nur berühren, nicht mehr. Scheiße, über den Tisch möchte ich sie legen und ihr die Gurke bis zum Magen hochstecken.
»Nein, ich hatte kein Messer. Es war eine alltägliche Auseinandersetzung«, sage ich. Er diktiert. Ob sie schöne Beine hat? Wäre egal, aber ich möchte es wissen.
»Haben Sie schlanke Beine?« frage ich sie. Erstaunt sieht sie zu mir.
»Werden Sie nicht frech«, bläht sich das Richterlein. Er fragt. Ich schaue auf das Mädchen.
»Ich erwarte, daß Sie ab morgen Arbeit abgeben«, sagt der Betriebschef einige Tage später. Er hat einen dicken Schweinskopf. Mit Petersilie garniert wäre er in jeder Metzgereiauslage ein Verkaufsschlager. »Ich bin für diese Arbeit zu ungeschickt. Ich kann es nicht«, sage ich. »Sie haben lange genug Zeit gehabt, es zu lernen, wenn Sie morgen nichts abgeben, schreibe ich eine Meldung wegen Arbeitsverweigerung«, sagt er und wirft die Türe zu.
Beim Hofgang sagt Vickerl zu mir, »waunds’s wüst, gib i da zehntausend. Mei Klana oabeit uandlich. Sei net so deppat, dea gibt da viazehn Tog.«
»Na, daunk da«, sage ich. Ich will einfach nicht mehr. Ich will diesem fetten Arschgesicht keine hundert, keine tausend – ich will ihm nicht einen fertigen Sack geben. Versteht ihr, ich will nicht! Natürlich schreibt er eine Meldung. Tagsüber liege ich am Tisch in der Arbeitszelle und schlafe.
Am anderen Morgen Rapport beim breitarschigen Major.
»Mir wurde hier eine Meldung vorgelegt, die besagt, daß Sie die Ihnen zugeteilte Arbeit verweigern, stimmt das?« fragt er und fuchtelt mit einem Wisch in meine Richtung.
»Ich habe bereits am zweiten Tag gesagt, daß ich für diese Kleberei zu ungeschickt bin. Und habe um eine andere Arbeit ersucht, die habe ich bis heute nicht bekommen«, sage ich. Der Betriebschef hinter mir schnauft aus seinem Rüsselgesicht.
»Das stimmt nicht, Herr Major. Er hat nie etwas dergleichen gesagt.« Wozu rede ich hier herum?
»Er«, ich wende mich zum
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