Der Minus-Mann
Schneetreiben gehe ich tags darauf zum Krankenhaus.
Mutter lächelt mir schwach und froh entgegen. Matt und langsam sagt sie in mein Zuhören: »Bitte, geh zur Polizei und bringe diese Affäre hinter dich.«
Ihr Gesicht ist flehend gegen mich gekehrt. Sie meint es ernst, und keine Ausflucht, die ich gebrauchen würde, könnte sie beruhigen.
»Ja, aber du weißt doch, daß sie mir nicht glauben werden. Für sie bin ich vorbestraft, und das genügt. Sie sperren mich ein und lassen mich monatelang hocken«, sage ich. Mutter weiß das ebensogut wie ich, aber sie muß dieses Wissen verleugnen. Daß ich als Zuhälter lebe, weiß sie nicht, doch selbst wenn sie es wüßte, es würde sie nicht berühren. Ihr Sohn kann so etwas nicht tun. Ergo – wozu darüber reden.
Alles, was mich je mit dem Gesetz in Konflikt brachte, ist für sie Ausdruck einer unerklärlichen geistigen Erkrankung. Ich bin deshalb für mein Tun nicht verantwortlich. Die Ärzte haben versagt, haben mich statt ins Krankenhaus ins Gefängnis geschickt. Dort wurde ich brutal, roh und grausam. So zählt sie eines zum andern, und daraus ergibt sich für sie und gleichzeitig für mich eine Rechtfertigung.
An dem Abend, als ich nach dem Raubüberfall nach Hause kam, hat sie kurz danach das Haus verlassen und ist zu einer Ärztin gegangen, welche unsere Familie seit Jahren behandelt hat. Von dort aus hat sie einen Facharzt für psychiatrische Erkrankungen verständigt, der mich als Dreizehnjährigen nach dem Raubüberfall behandelt hat. Er hat sie angehört und dann die Gendarmerie verständigt.
»Aber ich wollte doch nur dein Bestes«, sagte sie Jahre später zu mir. Ich war ihr nicht böse deshalb, sie war nur naiv. Sie hat immer zu Ärzten grenzenloses Vertrauen gehabt. Sie betete den weißen Kittel an, wieviel Dreck und Manipulation besonders bei den Psychiatern sich darunter verbergen, hat sie nie begriffen.
Mit zwölf nannten sie mich einen potentiellen Mörder. Mit vierzehn einen irreparablen, schwer abartigen Psychopathen. Mit siebzehn einen pathologischen Säufer und mit neunzehn einen permanent Suizidsüchtigen und asozialen Neurotiker. Die Gutachten über mich füllten Hunderte von Seiten. Meine Eltern hielten sie vor mir verschlossen. Nur einmal, mit vierzehn, habe ich eines gelesen. Die Aufzählungen meiner Persönlichkeitsmerkmale verursachten in mir so etwas wie perversen Stolz. Ich fragte auch meinen Vater. Er holte zu einer großen Erklärung aus, dann verfinsterte sich sein Gesicht.
»In dir kommt der Dreck aller unserer Generationen zum Ausdruck«, sagte er kurz.
Ich verschloß es in mir und war auch darauf stolz.
Meine Überlegungen, ihn umzubringen, schienen mir von da ab ganz und gar berechtigt. Gewissensbisse und Schuldbewußtsein wurden mir fremd. Mutter war laut, harmlos und fromm. Mutter hatte ich geliebt und liebte sie auch noch. So wie ich eben Liebe kannte. Mutter hatte ihren Gott, und es war furchtbar für sie, als sie bemerkte, daß mich Gottesglaube, Gebet und Hostie kalt ließen.
Ich liebte mich selbst. Ehrlich und angestrengt. Oft bin ich zu intensiv mit mir beschäftigt, dann schafft die Selbstzerstörung wieder erträgliche Maßstäbe …
Aufmerksam schaue ich durch die Gänge, dann verlasse ich das Spital. Das Schneetreiben ist dichter. Dumpf und verhalten klingen Geräusche. Ich fahre noch mit Sommerreifen, und der Wagen stellt sich einige Male quer zur Fahrbahn. Ich habe Glück, niemand kommt auf der Gegenseite.
Sie ist mit der Kiemen bei ihren Eltern. Ich treibe durch Kaffeehäuser.
Im Cafe Westbahn treffe ich Smolek. Wir kennen uns von Stein. Er arbeitet als Vertreter.
»Alles habe ich versucht. Bratpfannen mit garantiert haltbarem Teflonbelag … zerbröckelt erst nach zwei Wochen … Gesundheitspolster … ein halber Quadratmeter überzogener Schaumgummi … Autowachs … Paraffin und Seifenwasser … alles Scheiße … nichts zum Reichwerden …«, sagt er und starrt verbissen in seinen Kaffee.
Er sticht mit dem Finger gegen mich.
»Ein halbes Dutzend seriöse Angebote vor einem Monat … und jetzt … vier davon sitzen im Landesgericht … unschuldig natürlich … und die anderen beiden sind auf der Flucht.« Sein Gesicht ist grau, die Hände rot und rissig – vermutlich war das Autowachs der letzte Verkaufsschlager. Ich stoße ihn an.
»Wer ist das Mädchen da drüben«, sage ich.
»Eine von den Huren, die den ganzen Tag da herumsitzen«, sagt er und verzieht den Mund. Smolek ist Betrüger, nicht
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